ISBN | 3426198053 | |
Autor | Wolf Serno | |
Verlag | Droemer Knaur | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | - | |
Erscheinungsjahr | - | |
Extras | - |
Nur inkognito hat Frau in der männlichen Medizin eine Chance
Im 16. Jahrhundert veröffentlichte der flämische Mediziner Andreas Vesal eine Weltsensation, die die Geschichte der Wissenschaften, insbesondere der Medizin, nachdrücklich verändern sollte. De humani corporis zeigte erstmals 1548 in eleganter Akribie die Anatomie des menschlichen Körpers und widerlegte damit auch noch ganz nebenbei an die 200 Behauptungen Galens, der führenden Kapazität der Medizin seit der ausgehenden Antike. Doch die Humoralpathologie, Galens eklektisches Schaffenswerk, war noch lange nicht auf dem absterbenden Ast; alles durch die Renaissance neu Entdeckte wurde geschickt integriert und in das bestehende Weltbild einer patriarchalischen und göttlichen Souveränität eingebaut.
So auch die plastische Gesichtschirurgie, die man aus retroperspektivischer Sicht zumindest einmal so benennen kann. Wolf Serno tut es zumindest und stellt diese Form medizinischen Arbeitens in den Mittelpunkt seines äußerst fundiert recherchierten Buches über feminine Schicksale im Bologna der frühesten Neuzeit. Carla Maria Castagnolo, die letztlich als Medica von Bologna titelgebend reüssiert, hat ein persönliches Interesse an der chirurgischen Hilfe, denn ein entstellendes Feuermal verunziert nicht nur ihre Visage, sondern stellt im Sinne der Kirche auch einen Makel und ein nicht zu leugnendes Schandmal der Sünde dar.
Darüber hinaus aber engagiert sich die talentierte und gewissenhafte Carla im Sinne der mittelalterlichen Caritas für die Pflege und Unterstützung anderer Bedürftiger. Es riecht ein wenig nach den Fähigkeiten, die die Päpstin im gleichnamigen Weltbestseller vorweisen konnte; auch viele andere historische Romane zeigen die weiblichen Hauptdarstellerinnen als moralisch aufgewertete Charakter mit caritativen und therapeutischen Zügen – geschichtlich mehr als sinnvoll, denn zumindest in manchen Gebieten (Schwangerschaften, Kinder) waren sie auch offiziell Ansprechpartner der Schulmedizin. Der Ausbau auf andere gelehrte und ausschließlich dem Manne vorbehaltene Gebiete musste dann, so in diesen fiktiven Geschichten, geheim erfolgen.
Auch die junge Carla müht sich in dieser schwierigen Rolle als begabte und motivierte Frau, die, auch letztlich unerfolgreich, in die männliche Dominanz einzudringen versucht, es zumindest aber in Form der Assistentin des führenden Mediziners im Bereich der Gesichtschirurgie schafft. Caspare Tagliacozzi trägt nicht nur einen spektakulären Namen, sondern ist auch für seine erfolgreichen Operationen bekannt, und Carla assistiert ihm nicht nur, sondern verliebt sich auch ihn. Der berühmte dottore mimt allerdings die intrigante Hauptperson in Sernos starkem Roman und treibt somit ein typisches doppeltes Spiel mit seiner Assistentin, die ihm in zweifacher Hinsicht ausgeliefert ist und die genau daran, wie in der Wirklichkeit, so auch in der Fiktion, leiden muss. Liebe macht blind und allzu häufig wird der Leser vor Ärger und Ungerechtigkeit laut aufstöhnen, denn es ist ein mehr als schweres Los in dieser Zeit gewesen (Serno dokumentiert das eindrucksvoll) und es fragt sich der Leser nicht nur einmal, ob es nicht auch heute noch eines ist. Subtiler nur, versteht sich.
Der in Hamburg lebende Serno ist mittlerweile eine etablierte Größe in Sachen historischer Roman. Vor allen Dingen seine detaillierten Kenntnisse machen das fiktive zum historischen; in diesem wieder einmal die menschliche Gerechtigkeit aufs Dringlichste hinterfragende Werk bebildert er abseits allen Literatur eine Rekonstruktion einer frühneuzeitlichen Operation im Anhang – welch ein gelungener Service. Fazit: Plot und Story sind spannend und interessant, folgen aber bisweilen schon bekannten und immer wieder benutzten Motiven, allein Sernos packender Sprachstil und seine fundierten Kenntnisse heben ihn dabei von anderen ab.
geschrieben am 07.12.2010 | 531 Wörter | 3357 Zeichen
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