ISBN | 3462044621 | |
Autor | Alina Bronsky | |
Verlag | Kiepenheuer & Witsch | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 238 | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Extras | - |
Nachdem ich um die ersten beiden Romane von Alina Bronsky noch einen Bogen gemacht hatte, allerdings nur aus Zeitmangel, nicht mangels Interesse, habe ich nun dem dritten Roman nicht mehr aus dem Weg gehen können. Die Vorschusslorbeeren, die man ihr widmete, unter anderem fĂŒr das RomandebĂŒt âScherbenparkâ, schlugen sich auch in den Besprechungen zu ihrem nunmehr dritten Roman, dem vorliegenden, nieder. Und: die LektĂŒre begann vielversprechend, ansprechend und mitreiĂend. Die Sprache des Buches ist hervorragend, die Dialoge passen wunderbar zu Charakteren und Situationen, es gibt keine gekĂŒnstelte Sprache, sondern es passt einfach alles. Das betrifft vor allem die immer wieder zwischendurch eingestreuten Metaphern und Wendungen, die dem Leser wie kleine Feuerwerke klarmachen, dass Alina Bronsky eine hervorragende Sprachhandwerkerin ist und sich zwischen den Niveauebenen eines derben Dialogs und der subtilen Beschreibung, fast schon Kommentierung eines Geschehens flieĂend bewegt. Und sie transportiert im Laufe des Buches nicht nur eine Botschaft, sondern viele kleine Erkenntnisse, die sich am Ende zu einem stimmigen Gesamtbild fĂŒgen. So weit, so gut.
Die Geschichte handelt vom siebzehnjĂ€hrigen Marek, der gut aussah und prominent in einem Schultheater spielte, bis er in eine Auseinandersetzung mit einem Rottweiler geriet, die sein Gesicht glatt verlor. Seitdem ist er von Narben gekennzeichnet, in sich gekehrt, feindlich der Welt gegenĂŒber eingestellt und im abgedunkelten Zimmer von Selbstmitleid zerfressen. Aus irgendeinem Grund schafft es seine Mutter Claudia, eine bekannte ScheidungsanwĂ€ltin, ihn zur Teilnahme an einer Art von Selbsthilfegruppe zu bewegen. Dort trifft er auf eine bunte Mischung von âanderen KrĂŒppelnâ, einen coolen und gut aussehenden Blinden Marlon, den Beinamputierten Richard, den an einer AntiimmunschwĂ€che leidenden Friedrich, den ĂŒberdreht exaltierten Schwulen Kevin und die im Rollstuhl sitzende Janne, eine blasse Schönheit, der Marek sofort verfĂ€llt. Der Leiter der Gruppe, fortan âGuruâ genannt, scheint zunĂ€chst keinen wirklichen Plan fĂŒr die Gruppe zu haben, wohl aber den Ansatz, das Ganze zu filmen, wobei der Zweck unklar bleibt. Es scheint eine Mutmachaktion fĂŒr Behinderte zu sein, jedenfalls reden sich das alle zunĂ€chst ein. Die Gruppe begibt sich auf einen Wochenausflug in die mecklenburgische Einsamkeit, in eine behindertengerechte Villa. Da mĂŒssen sie auf einmal zusammen funktionieren, sich ihren SchwĂ€chen stellen, ihre StĂ€rken definieren und sich selbst und einander aushalten, aber auch finden. Schon das hĂ€tte bei richtiger sprachlicher Untermalung Stoff fĂŒr ein ganzes Buch werden können, zumal dank der sich anbahnenden Dreiecksproblematik Marek-Marlon-Janne. Doch Alina Bronsky setzt noch eins drauf und Mareks weitab lebender Vater verstirbt. Die Aufspaltung der Familie geschah in Mareks jungen Jahren, als der Vater das Au-Pair-MĂ€dchen Tamara schwĂ€ngerte und diese dann heiratete. Marek setzt sich also in den Zug nach Frankfurt und wird voll mit seiner Patchworkfamilie konfrontiert - und diese mit ihm und seinem Aussehen. Die Mutter der angeheirateten Tamara kommt noch aus der Ukraine hinzu, die Beerdigungsvorbereitungen, das BegrĂ€bnis und der Leichenschmaus stressen die Familie und schweiĂen sie doch auch zusammen. Als dann auch noch der âGuruâ samt Therapiegruppe auftaucht, um Marek seelisch zu unterstĂŒtzen, ist das Chaos perfekt. Alkoholselig erfĂ€hrt Marek dann am Abende des BegrĂ€bnisses zunĂ€chst von einem Gruppenmitglied, am Folgetag dann durch Einblick in den bisherigen Film des âGurusâ, was mir das Buch am Ende verleidet hat: angeblich ist der âGuruâ der Vater all der âBehindertenâ, die aus ebendiesem Grund zu der Gruppe zusammengetrommelt wurden. Völlig offen bleibt nun, warum er der Vater ist, wie es dazu kam, ob Mareks Vater dann der wirkliche Vater seines kleinen Halbbruders ist und wie Marek und seine zahlreichen Halbgeschwister fortan mit der Lage umgehen. Unbefriedigend! Stattdessen besorgt Marek seinem kleinen Halbbruder wie zuvor versprochen einen Welpen und auch einen fĂŒr Janne und setzt sich mit diesem in den Zug nach Hause, zu Claudia nach Berlin.
Diese Schlusswendung war fĂŒr mich der Tick zu viel. Das machte aus einem bis dahin spannenden und lebhaft geschriebenen Buch ein merkwĂŒrdiges Buch. So einen Knaller kann man nicht zĂŒnden, wenn zu der Handlung davor eigentlich kein Konnex bestand und er auch nicht zu einer weiteren Auflösung fĂŒhrt. Denn die Wiedergewinnung von Mareks SelbstwertgefĂŒhl und vor allem das Aufkeimen von GefĂŒhlen fĂŒr seine Familie und seine Umwelt hĂ€tte man auch ohne diese Zeugungsnachricht glaubhaft machen können. So aber werden die im Buch transportierten Botschaften vom schwierigen, aber belebenden Miteinander verschiedener Charaktere letztlich unnötigerweise abgewertet. Wer den Schwenk nicht so dramatisch schlecht findet wie ich, wird von dem Buch vollends begeistert sein, ich jedoch bin es nur noch zur HĂ€lfte.
geschrieben am 08.11.2013 | 721 Wörter | 4326 Zeichen
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