Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Europa kreuzweise. Eine Litanei


Statistiken
  • 9285 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Europa kreuzweise. Eine Litanei Blixa Bargeld hat ein Buch geschrieben. Der 1959 geborene Künstler hat bisher vieles gemacht. Bekannt ist er als Kopf und Sänger der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. Seine Produktionen als Komponist, Autor, Schauspieler, Performer und seine Dozententätigkeit sind dem größeren Publikum aufgrund der aufgedrückten Etikette: „PUNK“ weniger geläufig. In seinem Buch beschreibt er tagebuchartig seine letzte Tournee durch ganz Europa. Zwei Monate fuhr die Band mit einem Tourbus von Konzert zu Konzert. »Von Lissabon bis Moskau, Oslo bis Neapel, Europa kreuz und quer«, nennt es der Musiker, der nicht nur das ist. Die Kritiker haben dem Buch sogleich ihren neuen Stempel aufgedrückt: Gastrosophie-Litanei machte da einer ganz schlau aus dem Buchtitel den Titel seiner Besprechung. Tatsächlich geht es in Bargelds Schilderungen viel ums Essen. Seine primäre Sorge auf der Fahrt zu einer nächsten Metropole scheint zu sein: Wo ist das beste Restaurant? Können sich die anderen das auch leisten, und schaffen wir es zeitlich, da hin zu kommen? Er beschreibt seine kulinarischen Genüsse. Manchmal auch die Abgründe hinter wohlfeilen Namensgebungen für Unerträgliches. Kostprobe Russland. »Unser erstes Konzert in Moskau fand in einem ehemaligen sowjetischen Bezirks-Kulturzentrum statt. Es roch nach Rattengift; ein Bouquet aus lang verkochtem Kohl mit einer Kopfnote beißendem Salmiak. Ein Geruch, den ich wohl immer mit Moskau verbinden werde: traurige Menschen im Schneematsch, Schneematsch und Rattengift. Echte russische Mafia als Saalordner in dunklen Anzügen. Uniformierte russische Neo-Nazis im Publikum: Haben irgendwas falsch verstanden, von wegen deutsche Band. Das übliche Durcheinander« resümiert der Beobachter lakonisch. Dabei geht es längst nicht nur ums Essen. Das Buch ist eine wirkliche Litanei. Ein unaufgeregter Text, voller Beobachtungsgabe, Liebe für die unendlichen Details des Lebens - und Reisens erst recht. Es ist eine kultur-ästhetische Liebenserklärung an Europa. Diesen alten, so gebeutelten Kontinent. Schon vor Jahren ist Blixa Bargeld von einigen, die tiefer schauen, als Dandy erkannt worden. Dandyistisch sind seine Kleidung, die etwas völlig Neues war, exzentrisch, durchkomponiert, sinn-ästhetisch. Seine Gesprächsallüren im Interview: stets ironisch, durchdacht und oft klug. Dummheit geht ihm auf die Nerven, - und das zeigt er auch. Als Dandy steht er auf der Bühne. Zusammen mit Nick Cave spielte er 1988 in einem Experimental-Film mit dem Titel »DANDY«. Er selbst war die Hauptfigur, der Dandy, nachempfunden Voltaires Candide. Bargelds Dandytum konnte genau wie das von Nick Cave in der abgeschotteten, ganz eigenen Welt von West-Berlin reifen. Hier, wo David Bowie seine »Heroes« aufnahm und es eine qualitative Underground-Szene gab, die sich am Eis der beiden Machtblöcke herausbilden konnte. Nick Cave schildert in einem eigenen Buch sein Aufmerksamwerden auf den Berliner, mit dem er seitdem eng zusammenarbeitet: »Finally, the camera found the third man. He was the most beautiful man in the world. He stood there in a black leotard and black rubber pants, black rubber boots. Around his neck hung a thouroughly fucked guitar. His skin cleared to his bones, his skull was an utter disaster, scabbed and hacked, and his eyes bulged out of their orbits like a blind man\'s. And yet, the eyes stared at us if to herald some divine vivitation. Here stood a man on the trashhold of greatness; here stood a Napoleon victorious amongst his spoils, a conquering Caesar parading his troops, a Christ akimbo on Calvery. Blixa Bargeld.« Heutzutage kauft sich Blixa Bargeld seine Schuhe nur noch in Italien. »Ich habe jetzt mehr als ein Paar Schuhe«, gibt er unumwunden zu. Nach einer Periode der schwarzen Gummistiefel, gab es eine Periode der Cowboystiefel. Nun sei er schon lange in der Periode der italienischen Schuhe. Er macht es seinem Leser, seinem Publikum nicht leicht. Warum sollte er es tun? Es ist ein schönes Buch in einer dem 21. Jahrhundert angemessenen Sprachfarbe. Seine Melodie ist der Beat der ehemaligen Punks.

Blixa Bargeld hat ein Buch geschrieben. Der 1959 geborene Künstler hat bisher vieles gemacht. Bekannt ist er als Kopf und Sänger der EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN. Seine Produktionen als Komponist, Autor, Schauspieler, Performer und seine Dozententätigkeit sind dem größeren Publikum aufgrund der aufgedrückten Etikette: „PUNK“ weniger geläufig.

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


In seinem Buch beschreibt er tagebuchartig seine letzte Tournee durch ganz Europa. Zwei Monate fuhr die Band mit einem Tourbus von Konzert zu Konzert. »Von Lissabon bis Moskau, Oslo bis Neapel, Europa kreuz und quer«, nennt es der Musiker, der nicht nur das ist. Die Kritiker haben dem Buch sogleich ihren neuen Stempel aufgedrückt: Gastrosophie-Litanei machte da einer ganz schlau aus dem Buchtitel den Titel seiner Besprechung.

Tatsächlich geht es in Bargelds Schilderungen viel ums Essen. Seine primäre Sorge auf der Fahrt zu einer nächsten Metropole scheint zu sein: Wo ist das beste Restaurant? Können sich die anderen das auch leisten, und schaffen wir es zeitlich, da hin zu kommen? Er beschreibt seine kulinarischen Genüsse. Manchmal auch die Abgründe hinter wohlfeilen Namensgebungen für Unerträgliches. Kostprobe Russland. »Unser erstes Konzert in Moskau fand in einem ehemaligen sowjetischen Bezirks-Kulturzentrum statt. Es roch nach Rattengift; ein Bouquet aus lang verkochtem Kohl mit einer Kopfnote beißendem Salmiak. Ein Geruch, den ich wohl immer mit Moskau verbinden werde: traurige Menschen im Schneematsch, Schneematsch und Rattengift. Echte russische Mafia als Saalordner in dunklen Anzügen. Uniformierte russische Neo-Nazis im Publikum: Haben irgendwas falsch verstanden, von wegen deutsche Band. Das übliche Durcheinander« resümiert der Beobachter lakonisch.

Dabei geht es längst nicht nur ums Essen. Das Buch ist eine wirkliche Litanei. Ein unaufgeregter Text, voller Beobachtungsgabe, Liebe für die unendlichen Details des Lebens - und Reisens erst recht. Es ist eine kultur-ästhetische Liebenserklärung an Europa. Diesen alten, so gebeutelten Kontinent.

Schon vor Jahren ist Blixa Bargeld von einigen, die tiefer schauen, als Dandy erkannt worden. Dandyistisch sind seine Kleidung, die etwas völlig Neues war, exzentrisch, durchkomponiert, sinn-ästhetisch. Seine Gesprächsallüren im Interview: stets ironisch, durchdacht und oft klug. Dummheit geht ihm auf die Nerven, - und das zeigt er auch. Als Dandy steht er auf der Bühne. Zusammen mit Nick Cave spielte er 1988 in einem Experimental-Film mit dem Titel »DANDY«. Er selbst war die Hauptfigur, der Dandy, nachempfunden Voltaires Candide. Bargelds Dandytum konnte genau wie das von Nick Cave in der abgeschotteten, ganz eigenen Welt von West-Berlin reifen. Hier, wo David Bowie seine »Heroes« aufnahm und es eine qualitative Underground-Szene gab, die sich am Eis der beiden Machtblöcke herausbilden konnte.

Nick Cave schildert in einem eigenen Buch sein Aufmerksamwerden auf den Berliner, mit dem er seitdem eng zusammenarbeitet: »Finally, the camera found the third man. He was the most beautiful man in the world. He stood there in a black leotard and black rubber pants, black rubber boots. Around his neck hung a thouroughly fucked guitar. His skin cleared to his bones, his skull was an utter disaster, scabbed and hacked, and his eyes bulged out of their orbits like a blind man\'s. And yet, the eyes stared at us if to herald some divine vivitation. Here stood a man on the trashhold of greatness; here stood a Napoleon victorious amongst his spoils, a conquering Caesar parading his troops, a Christ akimbo on Calvery. Blixa Bargeld.«

Heutzutage kauft sich Blixa Bargeld seine Schuhe nur noch in Italien. »Ich habe jetzt mehr als ein Paar Schuhe«, gibt er unumwunden zu. Nach einer Periode der schwarzen Gummistiefel, gab es eine Periode der Cowboystiefel. Nun sei er schon lange in der Periode der italienischen Schuhe.

Er macht es seinem Leser, seinem Publikum nicht leicht. Warum sollte er es tun? Es ist ein schönes Buch in einer dem 21. Jahrhundert angemessenen Sprachfarbe. Seine Melodie ist der Beat der ehemaligen Punks.

geschrieben am 27.03.2009 | 610 Wörter | 3491 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen