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Demenz. Abschied von meinem Vater


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Rezension von

Jennifer Küppers

Demenz. Abschied von meinem Vater „Darf ich nach einem selbstbestimmten Leben nicht auch einen selbstbestimmten Tod haben, statt als ein dem Gespött preisgegebenes Etwas zu sterben, das nur von fernher an mich erinnert? Und dies letzte Bild wird bleiben und überdauert für die Nachfahren auf lange Zeit die Impressionen…“ Diese Worte schrieb Walter Jens im Jahr 1995. 2004 kann er sich schon nicht mehr daran erinnern, denn er ist dement. Kurz nachdem in den Medien diskutiert wurde, ob er 1942, mit knapp 20 Jahren, in die NSDAP eingetreten ist. Tilman Jens, dessen Sohn, beschreibt in seinem Buch „Demenz – Abschied von meinem Vater“ die Krankheit seines Vaters. Er portraitiert den allmählichen Verlust von Sprache und Gedächtnis. Dabei zieht er die Frage in Betracht, ob die verdrängte Geschichte möglicherweise der Auslöser für die Demenz war. Im Mittelpunkt steht jedoch nicht wirklich die Krankheit und ihre Symptome, sondern vielmehr zum einen die Frage nach der Sterbehilfe und danach, ob dieses Leben tatsächlich so unwert ist, dass es Sterbehilfe rechtfertigt. „Zwei Tage nach Neujahr 2007 - im Wohnzimmer riecht es nach Äpfeln, die am Tannenbaum hängen - rafft er sich noch einmal auf. Keine Larmoyanz in der Stimme - zum ersten Mal seit Wochen -, sondern eine beinah schon eisige Klarheit. Ihr Lieben, es reicht. Mein Leben war lang und erfüllt. Aber jetzt will ich gehen. Meine Mutter und ich widersprechen ihm nicht. Aus seiner Sicht hat er doch Recht. Also nur keinen süßlichen Trost mehr. Walter, ich kann Dich verstehen. Ich nicke, sprechen mag ich nicht. Reiß Dich zusammen, keine Tränen, nicht jetzt! Nun ist der Zeitpunkt doch noch gekommen. Wir werden also meinen Bruder Christoph in Köln anrufen und ihn bitten, sich einige Tage frei zu nehmen. Minuten sitzen wir da ohne ein Wort. Dann auf einmal lächelt mein Vater und sagt: Aber schön ist es doch! Ein tiefer Seufzer. Dann fallen ihm die Augen zu. Der früheren Meinung von Walter Jens – „unangefochten von auch nur dem leisesten Zweifel“ -, dass ein Kranker, der seine Angehörigen nicht mehr erkennt, „im Sinne des Humanen kein Mensch mehr sei“, hält Tilman Jens das Leben seines Vaters mit Margit Hespeler, einer Haushaltshilfe, entgegen und fragt: „Sieht so ein Leben aus, das - wie er einst dachte - im Sinne des Humanen keines mehr ist? Braucht, wer eine Margit hat, einen Doktor Max Schur?“ Zum anderen geht es um die Lebenslüge des Vaters – um das Verheimlichen der Vergangenheit – und den daraus resultierenden Vater-Sohn-Konflikt. „War es wirklich ein Zufall - an den Du, der Kenner, Interpret und Übersetzer antiker Tragödien, ohnehin nie geglaubt hast -, dass Dich das große Vergessen, die Demenz, der heimtückische Nebel, so hat es John Bayley gesagt, just in dem Augenblick überkam, als ein philologisches Fachlexikon die Existenz der NSDAP-Mitgliedskarte 9265911 offenbarte?“ fragt Tilman Jens seinen Vater und unterstellt ihm die Flucht in die Demenz. Fesselnd und ergreifend sind die Szenen, in denen Tilman Jens die Hilflosigkeit seines Vaters und die Gefühle von sich und seiner Mutter beschreibt. Auch die Geschichten aus der Kindheit – die Konkurrenz zwischen Mutter und Vater und der Aufenthalt bei Familie Schaich geben einen schönen Einblick in die Familie Jens. Wie eine Rechtfertigung hingegen wirkt die Kernthese, dass nämlich die Demenz des Vaters aus Scham über die jahrzehntelange Verheimlichung seiner NSDAP-Mitgliedschaft quasi als Flucht entstanden sei.

„Darf ich nach einem selbstbestimmten Leben nicht auch einen selbstbestimmten Tod haben, statt als ein dem Gespött preisgegebenes Etwas zu sterben, das nur von fernher an mich erinnert? Und dies letzte Bild wird bleiben und überdauert für die Nachfahren auf lange Zeit die Impressionen…“

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Diese Worte schrieb Walter Jens im Jahr 1995. 2004 kann er sich schon nicht mehr daran erinnern, denn er ist dement. Kurz nachdem in den Medien diskutiert wurde, ob er 1942, mit knapp 20 Jahren, in die NSDAP eingetreten ist. Tilman Jens, dessen Sohn, beschreibt in seinem Buch „Demenz – Abschied von meinem Vater“ die Krankheit seines Vaters. Er portraitiert den allmählichen Verlust von Sprache und Gedächtnis. Dabei zieht er die Frage in Betracht, ob die verdrängte Geschichte möglicherweise der Auslöser für die Demenz war.

Im Mittelpunkt steht jedoch nicht wirklich die Krankheit und ihre Symptome, sondern vielmehr zum einen die Frage nach der Sterbehilfe und danach, ob dieses Leben tatsächlich so unwert ist, dass es Sterbehilfe rechtfertigt.

„Zwei Tage nach Neujahr 2007 - im Wohnzimmer riecht es nach Äpfeln, die am Tannenbaum hängen - rafft er sich noch einmal auf. Keine Larmoyanz in der Stimme - zum ersten Mal seit Wochen -, sondern eine beinah schon eisige Klarheit. Ihr Lieben, es reicht. Mein Leben war lang und erfüllt. Aber jetzt will ich gehen. Meine Mutter und ich widersprechen ihm nicht. Aus seiner Sicht hat er doch Recht. Also nur keinen süßlichen Trost mehr. Walter, ich kann Dich verstehen. Ich nicke, sprechen mag ich nicht. Reiß Dich zusammen, keine Tränen, nicht jetzt! Nun ist der Zeitpunkt doch noch gekommen. Wir werden also meinen Bruder Christoph in Köln anrufen und ihn bitten, sich einige Tage frei zu nehmen. Minuten sitzen wir da ohne ein Wort. Dann auf einmal lächelt mein Vater und sagt: Aber schön ist es doch! Ein tiefer Seufzer. Dann fallen ihm die Augen zu.

Der früheren Meinung von Walter Jens – „unangefochten von auch nur dem leisesten Zweifel“ -, dass ein Kranker, der seine Angehörigen nicht mehr erkennt, „im Sinne des Humanen kein Mensch mehr sei“, hält Tilman Jens das Leben seines Vaters mit Margit Hespeler, einer Haushaltshilfe, entgegen und fragt: „Sieht so ein Leben aus, das - wie er einst dachte - im Sinne des Humanen keines mehr ist? Braucht, wer eine Margit hat, einen Doktor Max Schur?“

Zum anderen geht es um die Lebenslüge des Vaters – um das Verheimlichen der Vergangenheit – und den daraus resultierenden Vater-Sohn-Konflikt.

„War es wirklich ein Zufall - an den Du, der Kenner, Interpret und Übersetzer antiker Tragödien, ohnehin nie geglaubt hast -, dass Dich das große Vergessen, die Demenz, der heimtückische Nebel, so hat es John Bayley gesagt, just in dem Augenblick überkam, als ein philologisches Fachlexikon die Existenz der NSDAP-Mitgliedskarte 9265911 offenbarte?“ fragt Tilman Jens seinen Vater und unterstellt ihm die Flucht in die Demenz.

Fesselnd und ergreifend sind die Szenen, in denen Tilman Jens die Hilflosigkeit seines Vaters und die Gefühle von sich und seiner Mutter beschreibt. Auch die Geschichten aus der Kindheit – die Konkurrenz zwischen Mutter und Vater und der Aufenthalt bei Familie Schaich geben einen schönen Einblick in die Familie Jens. Wie eine Rechtfertigung hingegen wirkt die Kernthese, dass nämlich die Demenz des Vaters aus Scham über die jahrzehntelange Verheimlichung seiner NSDAP-Mitgliedschaft quasi als Flucht entstanden sei.

geschrieben am 29.03.2009 | 538 Wörter | 2880 Zeichen

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