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Fotografische Atmosphären


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Fotografische AtmosphĂ€ren Als ‚Globalisierung‘ oder ‚Wirtschaftskrise‘ wird die derzeitige VerĂ€nderung der Welt von einfĂ€ltigeren GemĂŒtern wahrgenommen. Jedoch geht die Revolution viel tiefer. So ist in der Kunst eine Verwischung der Grenzen zwischen einer klassischen Kunst, Pop-Art und Werbung festzustellen. Das 21. Jahrhundert knallt in die Hirne mit der Auflösung medialer Unterscheidbarkeiten. Man betrachtet heute nicht mehr ein einzelnes Bild eines KĂŒnstlers – sondern sein Werk. Es ist also an der Zeit, sich mit Fotografischen AtmosphĂ€ren zu beschĂ€ftigen, wie es Ilka Becker in ihrer verdienstvollen Studie tut. Ihr Untertitel: »Rhetoriken des Unbestimmten in der zeitgenössischen Kunst«. Doch was ist das ĂŒberhaupt, die AtmosphĂ€re? Ins Spiel zu bringen sind Begriffe wie Aura, Ambient, Stimmung, Glamour und Milieu. Zwanghaft denkt der Kulturmensch an Werke von Benjamin, Derrida, Michel Foucault und auch Peter Sloterdijk, die bereits solide Theorie-Arbeit geleistet haben. Ilka Becker bezeichnet die Fotografischen AtmosphĂ€ren als »singulĂ€re Effekte (
), die sich aus Lesarten und Bildkonventionen des Fotografischen speisen, ohne jedoch in diesen aufzugehen«. Die Autorin ist sich zugleich der Problematik bewusst, dass jedwede physikalische Versuchsanordnung ihren Versuch beeinflusst. So ist auch jedes Sprechen und Schreiben ĂŒber die Fotografische AtmosphĂ€re an der Konstruktion und/ oder Wahrnehmung ihrer Effekte beteiligt. Um sich diesen AtmosphĂ€ren im Einzelfall anzunĂ€hern, wĂ€hlt die Autorin einige kĂŒnstlerische Arbeiten, die nach ihrer Auffassung durch ihre individuelle VerknĂŒpfung von Bekanntem und Unbekanntem atmosphĂ€rische QualitĂ€t beziehen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei nicht die Frage, was eine AtmosphĂ€re ist, sondern die kĂŒnstlerischen und diskursiven Verfahren ihrer Erzeugung. Exemplarisch untersucht Ilka Becker die beiden frĂŒhen PhotobĂŒcher von Larry Clark, Tulsa und Teenage Lust. Sie sind mittlerweile zu Klassikern der modernen realistischen Photographie geworden und haben hohe Sammlerpreise. Nach Auffassung der Wissenschaftlerin ist der bahnbrechende Erfolg der BĂŒcher nicht darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dass sie TabubrĂŒche enthielten: MinderjĂ€hrige Prostituierte, Drogenkonsum. Wegweisend sei dagegen die Ästhetik gewesen: »Er [Clark] schuf in den 1960er Jahren eine Bildsprache fĂŒr die Speedjunkie-Subkultur seiner Heimatstadt Tulsa, als deren Protagonist und Beobachter er seine fotografische Praxis entwickelte. Clark hat somit einer Schicht mittelstĂ€ndischer Konsumenten von Mode, Werbeimages und Kunst langfristig die Codes eines mythisch aufgeladenen Underground zur VerfĂŒgung gestellt, zu dem sie selbst in den meisten FĂ€llen keinen Zugang haben.« Anders ausgedrĂŒckt: Die gelangweilten Mittelschicht-Kids der amerikanischen VorstĂ€dte konnten sich mit Wissen brĂŒsten, das sie nicht selbst erworben hatten. Sie fingen an, etwas nachzuahmen, das sie chick fanden. Dessen Aura sie angemacht hat. Die spezifische AtmosphĂ€re der BĂŒcher schafft Clark durch die strategische HinzufĂŒgung von Texten oder vielleicht besser Textelementen. Dies sind abphotographierte Zeitungsartikel, die wiederum zum Teil in die Polaroid-Aufnahmen integriert sind und so einen atmosphĂ€rischen Grund schaffen, vielleicht sogar einen Zeitgeist integrieren oder einen gewissen intellektuellen Anspruch intendieren. Einen der photographierten Clique Jugendlicher – und einen des Photographen. Auf einer anderen Ebene verĂ€ndern die Texte das VerhĂ€ltnis zwischen Subjekt und Beobachter/ Dokumentaristen. Noch einmal gesteigert wird dieses VerhĂ€ltnis in den spĂ€teren Filmen von Larry Clark wie Ken Park von 2003. Hier sind die Protagonisten tatsĂ€chlich ein wenig Ă€lter. Sie bleiben aber Jugendliche, - und indem der Filmemacher sich als Teil von ihnen suggeriert, gibt er dem nun gereiften Zuschauer die Möglichkeit, nach wie vor in einer jugendlich-subkulturellen Protesthaltung den Film zu sehen. Vielleicht wĂ€ren Larry Clarks Bilder ohne den 'traumatic realism' und 'capitalist nihilism' (Hal Foster) der Death in America-Bilder eines Andy Warhol nicht möglich gewesen. Was nun die Fotografische AtmosphĂ€re tatsĂ€chlich ausmacht, ist mit einem Satz kaum zu sagen. Ilka Becker konzediert in ihrer Doktorarbeit: »Insofern AtmosphĂ€re Aussagen zulĂ€sst ĂŒber ein spezifisches VerhĂ€ltnis des Subjekts zur ihn umgebenden Welt, könnte sie als ein Modus des Fotografischen verstanden werden, der das Subjekt mit Objekten und RĂ€umen in Beziehung setzt und diese Beziehung medial sichtbar macht.« Ilka Beckers kluge Studie macht Lust, sich mit der Konditionierung unserer Sehgewohnheiten auseinander zu setzen.

Als ‚Globalisierung‘ oder ‚Wirtschaftskrise‘ wird die derzeitige VerĂ€nderung der Welt von einfĂ€ltigeren GemĂŒtern wahrgenommen. Jedoch geht die Revolution viel tiefer. So ist in der Kunst eine Verwischung der Grenzen zwischen einer klassischen Kunst, Pop-Art und Werbung festzustellen. Das 21. Jahrhundert knallt in die Hirne mit der Auflösung medialer Unterscheidbarkeiten. Man betrachtet heute nicht mehr ein einzelnes Bild eines KĂŒnstlers – sondern sein Werk.

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Es ist also an der Zeit, sich mit Fotografischen AtmosphÀren zu beschÀftigen, wie es Ilka Becker in ihrer verdienstvollen Studie tut. Ihr Untertitel: »Rhetoriken des Unbestimmten in der zeitgenössischen Kunst«.

Doch was ist das ĂŒberhaupt, die AtmosphĂ€re? Ins Spiel zu bringen sind Begriffe wie Aura, Ambient, Stimmung, Glamour und Milieu. Zwanghaft denkt der Kulturmensch an Werke von Benjamin, Derrida, Michel Foucault und auch Peter Sloterdijk, die bereits solide Theorie-Arbeit geleistet haben. Ilka Becker bezeichnet die Fotografischen AtmosphĂ€ren als »singulĂ€re Effekte (
), die sich aus Lesarten und Bildkonventionen des Fotografischen speisen, ohne jedoch in diesen aufzugehen«. Die Autorin ist sich zugleich der Problematik bewusst, dass jedwede physikalische Versuchsanordnung ihren Versuch beeinflusst. So ist auch jedes Sprechen und Schreiben ĂŒber die Fotografische AtmosphĂ€re an der Konstruktion und/ oder Wahrnehmung ihrer Effekte beteiligt.

Um sich diesen AtmosphĂ€ren im Einzelfall anzunĂ€hern, wĂ€hlt die Autorin einige kĂŒnstlerische Arbeiten, die nach ihrer Auffassung durch ihre individuelle VerknĂŒpfung von Bekanntem und Unbekanntem atmosphĂ€rische QualitĂ€t beziehen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei nicht die Frage, was eine AtmosphĂ€re ist, sondern die kĂŒnstlerischen und diskursiven Verfahren ihrer Erzeugung.

Exemplarisch untersucht Ilka Becker die beiden frĂŒhen PhotobĂŒcher von Larry Clark, Tulsa und Teenage Lust. Sie sind mittlerweile zu Klassikern der modernen realistischen Photographie geworden und haben hohe Sammlerpreise. Nach Auffassung der Wissenschaftlerin ist der bahnbrechende Erfolg der BĂŒcher nicht darauf zurĂŒckzufĂŒhren, dass sie TabubrĂŒche enthielten: MinderjĂ€hrige Prostituierte, Drogenkonsum. Wegweisend sei dagegen die Ästhetik gewesen: »Er [Clark] schuf in den 1960er Jahren eine Bildsprache fĂŒr die Speedjunkie-Subkultur seiner Heimatstadt Tulsa, als deren Protagonist und Beobachter er seine fotografische Praxis entwickelte. Clark hat somit einer Schicht mittelstĂ€ndischer Konsumenten von Mode, Werbeimages und Kunst langfristig die Codes eines mythisch aufgeladenen Underground zur VerfĂŒgung gestellt, zu dem sie selbst in den meisten FĂ€llen keinen Zugang haben.« Anders ausgedrĂŒckt: Die gelangweilten Mittelschicht-Kids der amerikanischen VorstĂ€dte konnten sich mit Wissen brĂŒsten, das sie nicht selbst erworben hatten. Sie fingen an, etwas nachzuahmen, das sie chick fanden. Dessen Aura sie angemacht hat. Die spezifische AtmosphĂ€re der BĂŒcher schafft Clark durch die strategische HinzufĂŒgung von Texten oder vielleicht besser Textelementen. Dies sind abphotographierte Zeitungsartikel, die wiederum zum Teil in die Polaroid-Aufnahmen integriert sind und so einen atmosphĂ€rischen Grund schaffen, vielleicht sogar einen Zeitgeist integrieren oder einen gewissen intellektuellen Anspruch intendieren. Einen der photographierten Clique Jugendlicher – und einen des Photographen. Auf einer anderen Ebene verĂ€ndern die Texte das VerhĂ€ltnis zwischen Subjekt und Beobachter/ Dokumentaristen.

Noch einmal gesteigert wird dieses VerhÀltnis in den spÀteren Filmen von Larry Clark wie Ken Park von 2003. Hier sind die Protagonisten tatsÀchlich ein wenig Àlter. Sie bleiben aber Jugendliche, - und indem der Filmemacher sich als Teil von ihnen suggeriert, gibt er dem nun gereiften Zuschauer die Möglichkeit, nach wie vor in einer jugendlich-subkulturellen Protesthaltung den Film zu sehen.

Vielleicht wÀren Larry Clarks Bilder ohne den 'traumatic realism' und 'capitalist nihilism' (Hal Foster) der Death in America-Bilder eines Andy Warhol nicht möglich gewesen.

Was nun die Fotografische AtmosphĂ€re tatsĂ€chlich ausmacht, ist mit einem Satz kaum zu sagen. Ilka Becker konzediert in ihrer Doktorarbeit: »Insofern AtmosphĂ€re Aussagen zulĂ€sst ĂŒber ein spezifisches VerhĂ€ltnis des Subjekts zur ihn umgebenden Welt, könnte sie als ein Modus des Fotografischen verstanden werden, der das Subjekt mit Objekten und RĂ€umen in Beziehung setzt und diese Beziehung medial sichtbar macht.«

Ilka Beckers kluge Studie macht Lust, sich mit der Konditionierung unserer Sehgewohnheiten auseinander zu setzen.

geschrieben am 30.11.2010 | 616 Wörter | 4065 Zeichen

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