ISBN | 386717590X | |
Autor | Max Frisch | |
Verlag | DHV Der Hörverlag | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | - | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Extras | Hörbuch Version |
Frisch aufgefrischt
Spiritualisten haben wahrscheinlich ihre wahre Freude daran. An Geburtstagen nämlich, die bereits verstorbene Persönlichkeiten reanimieren sollen, die deren Bedeutung posthum in den Vordergrund stellen und die in besonders runden Feierjahren Hochkonjunktur haben. Max Frisch, der mit 79 Jahren 1991 in Zürich gestorbene Großmeister schweizerischer Nachkriegsliteratur, wäre im Mai 2011 einhundert Jahre alt geworden. Die Spiritualisten würden wahrscheinlich sagen: er wird hundert Jahre, nur ist das materiell nicht mehr sichtbar. Egal von welcher Seite man aus es betrachtet, die Feierlichkeiten sind in vollem Gange und vollständig neu redigierte Auflagen an der Tagesordnung. Wie passend und gut obendrein, dass der Hörverlag nun eine frische, so noch nicht veröffentlichte Hörspielbearbeitung des Romans für uns bereit hält.
Eine Hörbuchlesung von Stiller ist erstmalig vor einigen Jahren erschienen. Acht pralle CDs versuchten damals das Unmögliche: nämlich ein nicht leicht verdauliches Festmahl über den auditiven Weg jedermann zugänglich zu machen. Es gelang, ja, aber immer noch war’s ein dicker Happen; ein stundenlanger, wiewohl psychologisch interessanter Weg, um der tiefgründigen Freilegekunst des Schweizer Poeten nahe zu kommen. Dieses Mal ist das anders, und das sollte alle Frisch-Begeisterten, wie auch die Frisch-Geschädigten interessieren: Gerade einmal drei CDs benötigt Norbert Schaeffer, der schon seit fast dreißig Jahren diverse Hörspiele bearbeitet und arrangiert hat, um den spannenden Wahnsinn, den Frisch mit seinem Stiller zur Schau stellte, zu inszenieren.
Dabei kommen Freunde auditiver Spielereien, phonetischer Impressionen und verschachtelter Hörspielkunst auf ihre Kosten. Manchmal mehrere Stimmen, zumeist immer aber übereinander gelagerte Geräuschebenen oder Mitteilungsstufen werden ineinander verwoben. Das ist nicht immer leicht zu hören, aber wohl dennoch hohe Kunst. Die Sprecherinnen und Sprecher sind ausgewiesene Experten, vor allen Dingen Samuel Weiss als Stiller (oder eben nicht Stiller) begeistert mit seinem Timbre, das an akademische Abgeklärtheit, aber auch an Alkohol und Abenteuerwahn erinnert. Eine gute Wahl, wie insbesondere die Bearbeitung in vielen Details die Liebe zur Kunst und die Kenntnis derselben offenbart.
Stiller selbst wird in seiner Bekanntheit in Frischs Oeuvre höchstens noch von Homo Faber übertroffen. Beide zeichnet eine starke Fixierung auf Identitätsfindungen und gesellschaftliche Dissonanzen aus, mit der Folge eingeschränkter und deprimierender Lebensfähigkeit – auch Stiller ist ein eigensinniger, engstirniger, für sich selbst jedenfalls heroischer Charakter, der wie alle andere Personen in diesem Roman auch, mit zahlreichen Makeln und Beschränkungen ausgestattet ist - ein nicht allzu selten anzutreffendes Literaturmotiv in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg. Das Spannende bei Stiller: Die für Frischs Schaffen typische "Bildnisproblematik" macht aus diesem Werk einen Jahrhundertroman. Kein Bild darf zur Rolle werden, die übergestülpt und manipuliert, der tatsächlichen Identität vorgezogen wird, rezitiert Frisch in seinen Tagebüchern bedeutende Stellen aus der Bibel. Die Befreiung der Bildnisse und die Umsetzung dieser Referenz wird nirgends so deutlich wie im ständig widerholten Einstiegssatz: Ich bin nicht Stiller.
Die Zeiten, in denen Gymnasialschüler dieses üppige Stück deutschsprachiger Hochkultur verzehren mussten, sind beileibe nicht vorbei; in Ansätzen angenehmer, auf jeden Fall künstlerisch hochwertiger und anwenderfreundlicher ist da doch diese Hörspielbearbeitung. Grundsätzlich ist es wie auf modernen Theaterbühnen. Statt stundenlangem Erzählmonolog kommen viele interpretatorische Aspekte des Regisseurs zum Tragen, die nicht immer leicht verdaulich sind und die in diesem Fall auch kakophone Tendenzen aufweisen. Vielleicht liegt gerade darin aber auch die Kunst; vielleicht sind die Dissonanzen, die mir beim Hören aufgingen, unbewusst in Harmonien verwandelt worden, auf das ich die Bedeutung manch exponierter Stelle des Originals nun viel besser verstehen kann. Fakt ist jedenfalls, dass Max Frisch heuer eine 20-Franken-Gedenkmünze seines Heimatlandes geprägt bekommen hat und der Hörverlag eine, nennen wir es abschließend avantgardistische Vertonung seines 1954 erschienen Meisterwerks veröffentlicht hat. Sein Geist wird sich freuen.
geschrieben am 23.04.2011 | 585 Wörter | 3861 Zeichen
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