ISBN | 3896675427 | |
Autor | Kazuo Ishiguro | |
Verlag | Blessing | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 416 | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Extras | - |
Es ist immer schwer, von einem Autor, dessen Werke man seit Jahren kennt und teilweise verschlungen hat, enttäuscht zu werden. In diesem Fall hat mich der neue Roman von Ishiguro leider gar nicht überzeugt, trotz der zahlreichen Lobeshymnen in den Feuilletons und in vielen Buchbesprechungen. Die über 400 Seiten waren mir teilweise eine Qual und das Ergebnis, das am Ende steht, war mir viel zu dürftig für diesen gewaltigen textlichen Aufbau davor. Ich gönne jedem, der dieses Buch toll fand, jede Sekunde beglückter Lektürezeit von Herzen, mir persönlich aber hat es einfach nicht gefallen.
Zunächst kurz zur Geschichte: angesiedelt in der Zeit des sagenumwobenen König Artus, d.h. um etwa 500 n.Chr. zur Zeit der heftigen Kriege zwischen Britanniern, Sachsen, Angeln und Jüten, befindet sich ein älteres Ehepaar, Axl und Beatrice, auf der Suche nach ihrem Sohn. Sie verlassen ihr Heimatdorf, in welchem sie unter armseligen Umständen leben müssen, und wollen das angeblich nur wenige Tagesmärsche entfernte Dorf aufsuchen, in dem ihr Sohn leben soll. Problematisch ist, dass scheinbar im ganzen Landstrich, wenn nicht sogar im ganzen Land eine Art kollektiver Amnesie zu herrschen scheint und das Erinnerungsvermögen der Bewohner wie ausgelöscht ist. Die beiden treffen während ihrer Reise auf den alten Ritter Gawain, einen Gefährten von Artus, auf Wistan, einen jungen Krieger, auf Edwin, dessen sich Wistan annimmt, und auf allerlei sonderliche Gestalten. Nach und nach erfahren sie auch, dass die Drachin Querig, die angeblich in der Gegend weiterhin leben soll, mit ihrem Atem für die Gedächtnislücken verantwortlich sein soll. Die Handelnden erleben allerlei brenzlige Situationen, einzeln, miteinander, gegeneinander, und es kommt zu teilweise unangenehmen Überraschungen, wenn sich Charaktere ihrer Tarnung begeben oder sich der Schleier des Vergessens sukzessive lüftet. Showdown und Ergebnis bleiben hier natürlich offen, aber das Grundthema während des gesamten Buches ist die offenbar in jüngerer Vergangenheit erbarmungslos geführte Schlacht zwischen Britanniern und Sachsen, deren Gräuel derzeit nur durch das kollektive Vergessen unterdrückt werden, sodass ein einigermaßen gedeihliches Zusammenleben der Ethnien möglich ist.
Was genau stieß mir negativ auf? Zum ersten die Dialoge. Natürlich wird hier versucht, dem Sprachduktus der Zeit nahe zu kommen, aber es liest sich meist wie der Versuch uninspirierter Rollenspielfans, das Frühmittelalter irgendwie zu imitieren. Dazu kommen Redundanzen, die zum Augenrollen führen. Des Weiteren ist die Summe von Metaphern, Allegorien und Bildern zu groß, um dem Ziel zu dienen, Völkermord und kollektives Verdrängen sowie die Suche nach der eigenen Identität zu thematisieren: durch die Nutzung von Drachen, Kobolden, Hexengestalten etc. wird das Ganze so fiktiv, dass es einfach aufgesetzt wirkt. Ishiguro war immer ein Meister der Gegenwart, die sich gerne der Wurzeln der Tradition vergewissern oder erwehren musste. Diese Szenerie hier passt aber einfach nicht zu ihm. Drittens ist mir das Buch schlicht zu umfangreich für den damit erzielten Effekt, sich des Spannungsfeldes zwischen Friede und Konfliktaufarbeitung zu vergewissern. Es gibt etliche Kapitel, bei denen man sich nach der Lektüre fragt, was deren Sinn für das Buch war. Wenn alle alles vergessen haben, ist die (dann auch nicht vorhandene) Geschichte für den Leser irgendwann langweilig. Und schließlich finde ich die Auflösung um Axl und Beatrice am Ende unbefriedigend. Offene Enden mögen ja ganz nett sein, aber diesmal war es mir zu viel des Guten und schlicht unverständlich.
Insgesamt war die Lektüre für mich persönlich ein Reinfall.
geschrieben am 17.09.2016 | 543 Wörter | 3182 Zeichen
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