ISBN | 3936096546 | |
Autoren | Jan Ph. Reemtsma , Karin Wieland , Wolfgang Kraushaar | |
Verlag | Hamburger Edition | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 143 | |
Erscheinungsjahr | 2005 | |
Extras | - |
Baader war kein Dandy
Exakt zur Eröffnung der Ausstellung Mythos RAF erschien im Frühjahr 2005 das schmale Bändchen Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Der Gründer, Finanzier und Geschäftsführender Vorstand des Instituts, Jan Philipp Reemtsma, war an der Konzeption der Schau beteiligt, ist jedoch in der Planungsphase ausgestiegen, weil die Organisatoren ihm nicht die alleinige Zusammenstellung der Ausstellungsstücke zubilligten.
In dem Buch sind neben dem Vorwort von Herausgeber Reemtsma drei Aufsätze mit eindeutiger Stoßrichtung enthalten: Reemtsmas Haushistoriker Kraushaar versucht, Rudi Dutschke als Vorläufer der RAF-Gewalt zu überführen, Karin Wieland versucht, Andreas Baader als (unpolitischen) Dandy zu charakterisieren, und zum Schluss warnt Reemtsma selbst eindringlich davor, die RAF überhaupt verstehen zu wollen. Also die RAF als ein wilder und völlig unideologischer Haufen von gewalttätigen Cholerikern, mit dem wir uns nicht befassen dürfen?
Bereits der Tonfall der beiden Reemtsma-Texte zeugt von der emotionalen Verstrickung des Autors mit der Gewalt und damit indirekt auch der RAF. Es handelt sich hier also weniger um ein wissenschaftliches Buch als vielmehr um eine Polemik. Kennt man die Biographie des Hamburger Institutsgründers, so erschließt sich auch die Motivation zum Band. In seinem Leben gibt es zwei Schlüsselereignisse: Reemtsma erbte 1980 die gleichnamige Zigaretten-AG, die zwischen 1933 und 1939 ihren Gewinn verzehnfacht hatte. Reemtsmas Vater hatte sich instinktiv schon vor der Machtergreifung Hitlers einen sehr guten Kontakt zu den Nazis aufgebaut. Der fette Kunsträuber Göring zählte zu seinen guten Bekannten. Der Reichsmarschall tat eine Menge für den Zigarettenfabrikanten, und dieser ließ sich nicht lumpen und revanchierte sich mit Geschenken in heute geschätzter Höhe von mindestens 12 Millionen Reichsmark. Die Nähe zum Regime bezeugte der ehrgeizige Industrielle nicht nur durch ideologisch passende Massenhochzeiten seiner Arbeiter, sondern durch vielerlei NS-kompatible Aktivitäten. Der Verkauf des Unternehmens brachte Jan Phillip Reemtsma und seiner Mutter geschätzte 300 Millionen Mark.
Das zweite bestimmende Ereignis in Jan Philipp Reemtsmas Leben war 1996 seine Entführung, die 33 Tage andauerte und ihn in einem dunklen Kellerverließ gefangenhielt. Trotz dieser Erfahrung wirkt es erstaunlich, in einem Buch über die RAF vom Herausgeber die eindringliche Warnung zu lesen, die RAF verstehen zu wollen. Jedes Verstehenwollen sei bereits eine Verharmlosung, übernimmt Reemtsma das Totschlagsargument für jedwede ernsthafte Auseinandersetzung mit Gewalt. Schon deshalb wirkt das Buch als Selbstwiderspruch.
Der Aufsatz von Wolfgang Kraushaar über Dutschke rückt den Studentenführer in die Nähe zur Gewalt der RAF. Viele Rezensenten bemerkten zu Recht die äußerst dünne Beweisdecke. Kraushaar nimmt einzelne Wörter aus frühen Aufzeichnungen Dutschkes, wie „Stadtguerilla“ als Indiz für dessen Überlegungen, zum bewaffneten Kampf zu schreiten. Noch 1987 kam Reemtsmas jetziger Historiker zum genau gegenteiligen Ergebnis, ohne dass neue Forschungsergebnisse vorliegen: „Dennoch wäre es verfehlt, hier im nachhinein von einer intellektuellen Vorwegnahme der Roten Armee Fraktion (RAF) zu sprechen. Nicht nur weil es in einem konkret historischen Sinn falsch wäre, sondern auch, weil es zwischen dem Aufruf vom Herbst 1967 und der Praxis der RAF eine unübersehbare qualitative Differenz gibt. Stadtguerilla wird von Dutschke und Krahl noch als Element einer Bewusstseinsstrategie definiert. Der Stellenwert der Militanz ergibt sich aus ihrer propagandistischen Funktion, nicht umgekehrt.“ Ändert man als Wissenschaftler so seine Meinung, wenn man finanziell abhängig wird?
Ähnlich verhält es sich mit dem Aufsatz von Karin Wieland über Andreas Baader. Sie bezeichnet Baader als Dandy und beruft sich dabei auf Camus. „Für Albert Camus ist derjenige, der das göttliche und moralische Gesetz herausfordert, nicht der Revolutionär, sondern der Dandy.“ Camus entwickelt in L’homme revolté (Der Mensch in der Revolte) das Dandytum in einer historischen Linie. Der Ursprung des Dandytums liegt nach Camus im Geist der Romantik. Da auch Gott sich des Bösen bediene, erlaube sich der romantische Held, der letztlich gegen seine Endlichkeit revoltiere, ebenfalls eine Vermischung von Gut und Böse. In der Benutzung auch des Bösen liege ein Protest gegenüber der göttlichen Anmaßung, das Gute zu definieren. Camus folgt in seiner Argumentation der bisherigen Theorie über das Dandytum. Er beruft sich ausdrücklich auf Baudelaire, den er als tiefsten Theoretiker des Dandytums bezeichnet. Für Baudelaires Theorie zentral sind eine Radikalität der Ablehnung des dem Menschen vorgegebenen Lebensrahmens und ein tiefer Schmerz über das Leben als eine Aneinanderreihung von perzepierten Ereignissen, die jeweils immer schon gewesen sind (Karl Heinz Bohrer). Daher lehnen auch nachfolgende Dandys die Zeitumstände, in denen sie leben (müssen) ab. Somit ist die von Camus gemeinte Herausforderung des „göttlichen und moralischen Gesetzes“ viel weitergehend als jedweder politische Widerstand. Der Dandy verzweifelt primär an seinem Hier-Sein-Müssen (das bedeutet auch am In-dieser-Welt-Sein-Müssen) und erst auf der zweiten Ebene an der gesellschaftlichen Realität (am In-dieser-Gesellschaft-Sein-Müssen). Nach dieser Sicht ist der Dandy der viel radikalere und konsequentere als der Terrorist, da er nicht gegen falsche Politik revoltiert, sondern gegen die göttliche Allmacht. In jedem Fall schließen sich nach Camus Terrorist und Dandy gegenseitig aus.
Wieland fällt eine flotte Formulierung ein, die nur leider kompletter Nonsens ist: Baader sei ein „Dandy des Bösen“ gewesen. Ein Begriff, der sich selbst widerspricht. Auf diesem Niveau sind auch ihre anderen Argumente. So behauptet sie forsch, Baader sei ein Dandy gewesen, weil Kälte eine der Voraussetzungen seiner Herrschaft gewesen sei. „Es ging nicht mehr nur um eine dandyistische Selbstdarstellung in bewußter Absetzung von der Gesellschaft. Baader ging weiter und setze seinen Körper gegen die Gesellschaft“, schreibt sie und meint dabei die Hungerstreiks. Das hört sich gut an, ist jedoch faktisch falsch. Denn es ist mittlerweile erwiesen, dass eine Reihe von Anwälten und andere Besucher Baader und Ensslin großzügig mit Nahrung versorgt haben. Der Aufschneider Baader hat nicht nur einmal gebratenes Hühnerfleisch auf den Zellengang gekotzt, das ihm einer seiner vielen Anwälte in den angeblichen Hochsicherheitstrakt geschmuggelt hatte. Baader machte die Hungerstreiks für die anderen obligatorisch, um die Öffentlichkeit emotional zu erpressen. Anführer Baader hat sich daran selbst nicht gehalten.
Richtig an Wielands Text ist sein Ergebnis, dass Baader letztlich wohl unpolitisch gewesen ist. Aber dafür hat sie den Typus des Dandys nicht missbrauchen müssen. Baader konnte und wollte sich in keine Gesellschaft integrieren. Er war aggressiv, gewalttätig. Aber war er ein Dandy, weil er Samthosen trug?
Der Dandy ist hoch intelligent, umfassend gebildet. Und dies nicht nur intellektuell. Er hat fundierte Manieren, zelebriert das Gentlemanideal, ohne darüber Worte zu verlieren. Seine Tugenden sind Nonchalance, Gediegenheit, eine unerschütterbare Stilsicherheit. Er ist ein Kind der Salons des 19. Jahrhunderts, die kultur-soziologisch die Funktion des königlichen Hofes übernommen haben. Der Dandy umgibt sich mit schönen Dingen, - jedoch nicht, um damit anzugeben. Das würde auch gar nicht funktionieren, lässt er nicht jeden Dahergelaufenen in sein artifizielles Refugium. Er benötigt das essentiell Schöne, um sich von der Mittelmäßigkeit des Lebens abzulenken. Zugleich dient das Schöne ihm als Schutz, als Panzer gegen den Schmutz der Gemeinheit. Da Hässlichkeit, Dummheit und die permanenten Anmaßungen der Eitlen ihm gegenüber nur seine Verachtung hervorrufen können, entschließt er sich irgendwann, eine Maske aufzusetzen. Er mischt sich ins Geschehen nicht mehr ein, von Ernst Jünger ist diese Daseinshaltung als Désinvolture bezeichnet worden. Das verschafft ihm einen ungeheuren Freiraum. Er ist für die Philister nicht mehr einschätzbar, was man von ihm erwartet, kann ihm gleichgültig sein. Häufig übersehen wird, dass der Dandy in der Revolte steht. Allein dies trennt ihn Lichtjahre vom Snob. Er revoltiert gegen die Moderne mit ihrer Nivellierung aller Lebensbereiche und ihrer immer weitergehenden Beschneidung individueller Freiheiten. Dennoch greift er nur zur Waffe seines Wortes. Des Dandys Kunststück ist, die gesellschaftlichen Regeln zu verletzen, ohne sie zu brechen. Seine Provokationen können nur dann Wirkung erzielen, wenn er die Gesetze, die er bekämpft, grundsätzlich einhält. Den Dandy unterscheidet vom Partisanen, dass er sich mit keiner Gruppierung, die um die Macht kämpft, eins macht. Denn er weiß ganz genau, dass mit jedem Engagement für eine Seite seine Unabhängigkeit verloren ginge.
Was hat Andreas Baader mit alldem zu tun?
geschrieben am 12.03.2007 | 1272 Wörter | 7918 Zeichen
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