ISBN | 3775727815 | |
Herausgeber | Ingried Brugger , Lisa Kreil | |
Verlag | Hatje Cantz | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 176 | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Extras | - |
Als sich Ende 1944 das Ende des Deutschen Reichs näherte, begann Ernst Jünger, einer der bedeutendsten Chronisten des 20. Jahrhunderts, die Lektüre eines Buches über Schiffbrüche.
Der Schiffbruch symbolisierte für den Schriftsteller vielerlei: Die Besatzung ist dem Meer und Wetter hilflos ausgesetzt. Das Schiff war für Jünger Symbol des Staatswesens. Die Besatzung ist das Volk. Die Launen des endlosen Wassers sind die für den Menschen unvorhersehbaren Launen der Götter. Am Mannschaftsgeist zeigt sich der kulturelle Stand eines Volkes: Hält es zusammen, ist es kameradschaftlich? Oder verfolgt jeder Einzelne egoistisch seine kurzfristigen Vorteile, ohne das große Ganze im Auge zu haben? Gerade in der jetzigen Zeit scheint dies keine unpassende Allegorie.
Der russische Maler Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski (1817-1900) war einer der großen Darsteller von Schiffbrüchen, Meeresunwettern und Küstenlandschaften im 19. Jahrhundert. Dass er in der westlichen Welt kaum bekannt ist, ist wohl dem Umstand verschuldet, dass Aiwasowski in einer kleinen Hafenstadt an der Krim zur Welt kam.
Durch frühe Kreide-Zeichnungen an Hauswände wurde ein Architekt auf ihn aufmerksam; später förderte ihn der Stadtkommandant. Aufgrund seines außergewöhnlichen Talents wurde der Siebzehnjährige von der Akademie der Künste in Sankt Petersburg aufgenommen. Alexander Puschkin, Schöpfer der großen Dandy-Romans Eugen Onegin, war nicht die einzige Kultur-Größe Russlands, die ihm die Romantik nahebrachte. Als William Turner, der Lieblingsmaler des Ur-Dandys Beau Brummell, Aiwasowskis Gemälde Golf von Neapel in einer Mondnacht von 1842 sah, widmete er dem jungen Kollegen einige euphorische Verse auf Italienisch. Sie enden mit den Worten: »Deine Kunst ist groß und kraftvoll, weil ein Genius dich inspiriert.«
Zu Beginn seiner Karriere malte Aiwasowski hauptsächlich die ruhige See. Dann wurde er von der Marine beauftragt, Gemälde bedeutender Seeschlachten anzufertigen, was ihm zu Unrecht den Ruf eines Marinemalers eintrug. Später erhalten seine Gemälde eine stärkere spirituelle Dimension: Der Betrachter sieht, wie die Menschen mit den Naturgewalten kämpfen, in denen ihr Leben liegt. Gemälde von ruhigen Häfen ziehen den Betrachter in ihren Bann durch ein Licht, das andeutet, das Wetter war vor kurzem noch anders. In diesen Bildern der Ruhe liegt ungeheure Melancholie. Eine Beinahe-Sehnsucht, dieser Augenblick möge doch niemals vorübergehen. Ein Hauch von Erlösung.
Eine atemberaubende Ausstellung holt Aiwasowski nun erstmalig umfassend nach Europa: Das Bank Austria Kunstforum in Wien präsentiert noch bis zum 10. Juli 2011 insgesamt 51 Werke dieses russischen Ausnahmekünstlers. Diese Schau ist nur möglich geworden durch das Engagement einer ganzen Reihe von Sponsoren und Leihgebern, allen voran den beteiligten russischen Museen.
Das Katalogbuch aus dem Hause Hatje Cantz ist quasi die Krönung des Ganzen und bibliophiles Gedächtnis. Auf großzügigen Tafeln werden sämtliche ausgestellten Werke präsentiert. Dies ersetzt nicht den Besuch der Ausstellung, ist aber eine die Seele berührende Erinnerung. Überschaubare Essays führen ein in das Leben und Werk Aiwasowskis, erläutern die Emblematik des Schiffbruchs oder die Stellung des Malers in der Kunstgeschichte.
Ein fulminanter Beitrag zur Völkerverständigung.
geschrieben am 22.03.2011 | 465 Wörter | 2910 Zeichen
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