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Zur Geiselfrage


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Zur Geiselfrage Als im Jahre 2003 Ernst Jüngers Denkschrift »Zur Geiselfrage« erstmals erschien, hat sie keine nennenswerte Debatte ausgelöst. Dem Text wurde weder literarische Bedeutung beigemessen noch eine historische Bedeutung, die in der Forschung wirklich neue Erkenntnisse erbracht hätte. Nun bringt Ernst Jüngers Verlag Klett-Cotta diese Schrift erstmals in Buchform heraus, - und es zeigt sich acht Jahre später, dass Jüngers Schilderung in der Tiefe wirkt. Sie hat ähnliches Gewicht wie die Stauffenberg-Verfilmung mit Tom Cruise, die in den USA das extrem simplifizierende Bild vom Deutschen ins Wanken brachte. Diese Denkschrift des ab 1941 in Frankreich stationierten Offiziers Jünger schildert die Problematik der deutschen Besatzungsmacht, auf Befehl aus Berlin nach erfolgten Attentaten auf deutsche Soldaten seitens französischer Untergrundkämpfer, Vergeltung üben zu müssen. In Paris hatte sich eine gewisse Elite von Offizieren gefunden, die dem Nazi-Regime ablehnend gegenüberstanden und versuchen wollten, Schlimmeres zu verhindern. Freilich geschah dies individuell: Manch einer beteiligte sich am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944; andere begnügten sich mit einer Art von innerer Emigration. Die genaue Positionierung von Ernst Jünger ist unerforscht. Die Aufzeichnungen tragen den Untertitel »Schilderung der Fälle und ihrer Auswirkungen« und sind von protokollarischer Objektivität. (»Die Erschießung war um 10.40 Uhr vorüber.«) Der Militärbefehlshaber Frankreich, General Otto von Stülpnagel, beauftragte Jünger, die Problematik der Rache-Erschießungen zu dokumentieren. Ernst Jünger schildert in seinen literarisch-stilisierten Pariser Tagebüchern unter dem Datum des 23. Februar 1942 einen Besuch »zum Tee beim scheidenden Oberbefehlshaber«: »Er hatte mich wegen der Geiselfrage rufen lassen, deren genaue Schilderung für spätere Zeiten ihm am Herzen liegt. Sie ist ja auch der Anlaß, aus dem er jetzt geht.« Jünger schildert seinen Vorgesetzten als honorig, aber gleichzeitig zu weich, als »hölzern und melancholisch«. Der Herausgeber der Denkschrift, Sven Olaf Berggötz, erläutert in seiner Einführung die Biographie des Wehrmachtsgenerals, der als besonders pflicht-beflissen galt. Stülpnagel erhielt 1928 die Regelbeurteilung: »Tief veranlagte Persönlichkeit mit fast übertriebener Gewissenhaftigkeit.« Diese Gewissenhaftigkeit bedeutete aber auch ein massives Festhalten am preußischen Ehrenkodex, der den Adligen dazu trieb, in Berlin gegen die befohlenen Erschießungen ebenso zu protestieren wie gegen den schändlichen Raub »beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes«. So führt ein Einlassen mit dieser Dokumentation Jüngers in tiefere Schichten einer Wahrheit der jüngeren deutschen Geschichte. Stülpnagel hatte eine Aufgabe, der kein Mensch gerecht werden konnte. Er selbst zog die Konsequenzen und bat Anfang 1942 um seine Abberufung, wessen unverzüglich stattgegeben wurde. Ernst Jünger hat ein Gespräch mit Stülpnagel in seinen Aufzeichnungen notiert, die den später veröffentlichten Tagebüchern zugrunde liegen. Doch hat Jünger diese Passagen vor der Veröffentlichung gestrichen: »Erfahre von ihm, daß er nicht, wie ich angenommen hatte, grundsätzlich gegen Erschießungen von Geiseln gewesen war. Er stellte seinen Widerstand vielmehr als Folge politischer Erwägungen dar. Maß zu halten sei besonders notwendig im Hinblick auf das Kriegspotenzial.« Des Beobachters Enttäuschung spricht auch ohne jedwede Kommentierung aus den Zeilen. Der Buchausgabe ist ein Vorwort von Volker Schlöndorff vorangestellt, der sich durch Jüngers Schrift zu dem Film "Das Meer am Morgen" hat inspirieren lassen.

Als im Jahre 2003 Ernst Jüngers Denkschrift »Zur Geiselfrage« erstmals erschien, hat sie keine nennenswerte Debatte ausgelöst. Dem Text wurde weder literarische Bedeutung beigemessen noch eine historische Bedeutung, die in der Forschung wirklich neue Erkenntnisse erbracht hätte.

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Nun bringt Ernst Jüngers Verlag Klett-Cotta diese Schrift erstmals in Buchform heraus, - und es zeigt sich acht Jahre später, dass Jüngers Schilderung in der Tiefe wirkt. Sie hat ähnliches Gewicht wie die Stauffenberg-Verfilmung mit Tom Cruise, die in den USA das extrem simplifizierende Bild vom Deutschen ins Wanken brachte. Diese Denkschrift des ab 1941 in Frankreich stationierten Offiziers

Jünger schildert die Problematik der deutschen Besatzungsmacht, auf Befehl aus Berlin nach erfolgten Attentaten auf deutsche Soldaten seitens französischer Untergrundkämpfer, Vergeltung üben zu müssen. In Paris hatte sich eine gewisse Elite von Offizieren gefunden, die dem Nazi-Regime ablehnend gegenüberstanden und versuchen wollten, Schlimmeres zu verhindern. Freilich geschah dies individuell: Manch einer beteiligte sich am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944; andere begnügten sich mit einer Art von innerer Emigration. Die genaue Positionierung von Ernst Jünger ist unerforscht.

Die Aufzeichnungen tragen den Untertitel »Schilderung der Fälle und ihrer Auswirkungen« und sind von protokollarischer Objektivität. (»Die Erschießung war um 10.40 Uhr vorüber.«)

Der Militärbefehlshaber Frankreich, General Otto von Stülpnagel, beauftragte Jünger, die Problematik der Rache-Erschießungen zu dokumentieren. Ernst Jünger schildert in seinen literarisch-stilisierten Pariser Tagebüchern unter dem Datum des 23. Februar 1942 einen Besuch »zum Tee beim scheidenden Oberbefehlshaber«: »Er hatte mich wegen der Geiselfrage rufen lassen, deren genaue Schilderung für spätere Zeiten ihm am Herzen liegt. Sie ist ja auch der Anlaß, aus dem er jetzt geht.« Jünger schildert seinen Vorgesetzten als honorig, aber gleichzeitig zu weich, als »hölzern und melancholisch«. Der Herausgeber der Denkschrift, Sven Olaf Berggötz, erläutert in seiner Einführung die Biographie des Wehrmachtsgenerals, der als besonders pflicht-beflissen galt. Stülpnagel erhielt 1928 die Regelbeurteilung: »Tief veranlagte Persönlichkeit mit fast übertriebener Gewissenhaftigkeit.« Diese Gewissenhaftigkeit bedeutete aber auch ein massives Festhalten am preußischen Ehrenkodex, der den Adligen dazu trieb, in Berlin gegen die befohlenen Erschießungen ebenso zu protestieren wie gegen den schändlichen Raub »beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes«.

So führt ein Einlassen mit dieser Dokumentation Jüngers in tiefere Schichten einer Wahrheit der jüngeren deutschen Geschichte. Stülpnagel hatte eine Aufgabe, der kein Mensch gerecht werden konnte. Er selbst zog die Konsequenzen und bat Anfang 1942 um seine Abberufung, wessen unverzüglich stattgegeben wurde. Ernst Jünger hat ein Gespräch mit Stülpnagel in seinen Aufzeichnungen notiert, die den später veröffentlichten Tagebüchern zugrunde liegen. Doch hat Jünger diese Passagen vor der Veröffentlichung gestrichen: »Erfahre von ihm, daß er nicht, wie ich angenommen hatte, grundsätzlich gegen Erschießungen von Geiseln gewesen war. Er stellte seinen Widerstand vielmehr als Folge politischer Erwägungen dar. Maß zu halten sei besonders notwendig im Hinblick auf das Kriegspotenzial.«

Des Beobachters Enttäuschung spricht auch ohne jedwede Kommentierung aus den Zeilen. Der Buchausgabe ist ein Vorwort von Volker Schlöndorff vorangestellt, der sich durch Jüngers Schrift zu dem Film "Das Meer am Morgen" hat inspirieren lassen.

geschrieben am 15.11.2011 | 484 Wörter | 3212 Zeichen

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