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Edition Metzengerstein: Dunkle Engel


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Informationen zum Buch
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Rezension von

Frank Drehmel

Dunkle Engel S. P. Somtow ist das Pseudonym des 1952 in Bangkok geborenen Multitalents Somtow Papinian Sucharitkul. Als Spross einer thailĂ€ndischen Aristokratenfamilie begann er seine kĂŒnstlerische Karriere als Komponist avantgardistischer Musik und versuchte sich dann ab den spĂ€ten 70ÂŽern -mit großen Erfolg, wenn man der Anzahl der Award-Nominierungen Glauben schenkt- als Roman- und Kurzgeschichtenautor in den unterschiedlichsten Genres; kurze Abstecher in den Bereich des Films -als Regisseur, Autor, Produzent oder Komponist- runden das Bild eines sendungsbewussten, kreativen Menschen ab. Im Jahr 2001 besann sich Somtow seiner Wurzeln, der Musik, und zeichnet seit dem fĂŒr eine Vielzahl klassischer musikalischer Projekte in seiner Heimatstadt Bangkok verantwortlich. Der im Original 1997 erschienene Roman “Darker Angels” macht es dem Rezensenten nicht leicht. Wegen des komplizierten Aufbaus -nicht ohne Grund lĂ€sst der Autor seine Hauptprotagonistin an einer Stelle sagen: “Geschichten in Geschichten in Geschichten. Und jedesmal war eine weitere nötig, um die vorangegangene zu erklĂ€ren.”- ist eine Inhaltsangabe, die ĂŒber den Hauptplot hinausgeht, kaum möglich. Doch dieses Wenige soll geleistet werden. Man schreibt das Jahr 1865. Die Witwe Paula Grainger trifft vor dem in New York aufgebahrten Leichnam Abraham Lincolns den berĂŒhmt-berĂŒchtigten Dichter Walt Whitman. Augenblicklich zieht der alte Mann sie in seinen Bann indem er behauptet, Dinge zu wissen, die ihr aufgeklĂ€rtes Weltbild auf den Kopf stellen. Wenige Tage spĂ€ter kommen Whitman und sein jugendlicher Geliebter, Zachary Brown, einer Einladung Mrs. Graingers nach. Und es ist Zachary, der zu erzĂ€hlen beginnt: eine Geschichte, in der ihr verstorbener Mann, Reverent Grainger, ihre schwarzhĂ€utige Dienerin, Phoebe, und er selbst eine Rolle spielen, eine Geschichte, in der immer neue Protagonisten, u.a. Edgar Alan Poe und Lord Byron, die BĂŒhne betreten; eine Geschichte, die Schritt fĂŒr Schritt weiter in die Vergangenheit, auf Schlachtfelder und Sklavenfarmen und tief in die afrikanische Mythologie fĂŒhrt. Schließlich erkennt Mrs. Grainger, dass die Leben all der Menschen aus den Geschichten in den Geschichten zu einem bestimmten Zweck verknĂŒpft sind und dass auch in ihr selbst der Geist der Leopardin namens Eleuthera, was nichts anderes heißt als “Freiheit”, wohnt. Vor dem Hintergrund des amerikanischen Abolitionismus entwirft Somtow auf hohem sprachlichen Niveau in eindringlichen Bildern eine Geschichte dĂŒsterer Schönheit und Faszination, lĂ€sst afrikanische Mythen und haitianischen Voodoo-Kult in einer nicht zuletzt wegen der Einbindung historischer Persönlichkeiten sehr real erscheinenden Vergangenheit lebendig werden. Der Aufbau des Romans ist -wie angedeutet- sehr kunstvoll gestaltet: ausgehend von der Gegenwart Paula Graingers, dem Jahr 1865, entwickelt sich die Handlung in Teilen quasi rĂŒckwĂ€rts, verĂ€stelt sich in der Vergangenheit und jeder “Ast” wird von einem anderen Protagonisten bestimmt. Der Leser muss sich mit mehreren Ich-ErzĂ€hlern auseinander setzen, von denen jeder einen Teil zu einem komplexen Muster, dessen GrundgerĂŒst -die Gegenwart- immer wieder durchscheint , beitrĂ€gt. Dadurch, dass der Autor einerseits die Protagonisten ihre Biografien selbst erzĂ€hlen lĂ€sst, andererseits aber auch andere ein Urteil ĂŒber sie fĂ€llen, sind die Figuren allesamt Ă€ußerst differenziert gezeichnet und sprengen simple Schwarz-Weiß-Schemata. Somtows Charaktere sind nicht per se gut oder böse, sind keine statischen Figuren, sondern entwickeln sich und zeigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Biografie unterschiedliche Facetten ihres Wesens. Unklar bleibt, welchem Genre sich Somtows Roman zuordnen lĂ€sst. Ich persönlich wĂŒrde ihn eher dem magischen Realismus zuschreiben, weil in der zentralen Figur der Paula Grainger Mythos und Logos eine vollkommene Synthese eingehen. Ganz in ihrer Zeit verhaftet, im Bewusstsein der technischen Segnungen auf der einen und der moralischen Verworfenheit der “Moderne” auf der anderen Seite, ist sie in der Lage und Willens, die Magie zu akzeptieren. Andere mögen das Buch auf Grund der zuweilen recht drastischen Bilder und der dĂŒsteren Spannung eher dem Horror-Genre zurechnen. Doch hier gilt es zu bedenken, dass es nicht die metaphysischen Aspekte -die Leichen verzehrenden Zombies, die schwarzen Götter und Engel- sind, die das Grauen im Leser wecken, sondern es sind jene Dinge, die Menschen Menschen antun: der Tod auf dem Schlachtfeldern des Sezessionskrieges oder die Unmenschlichkeit der Sklaverei. In deutlicher Abgrenzung zum ganz irdischen Horror steht das ÜbernatĂŒrliche bei Somtow fĂŒr individuelle und kulturelle IdentitĂ€t, fĂŒr Gerechtigkeit und Befreiung des Menschen aus einer sich selbst auferlegten Knechtschaft. In gewisser Hinsicht ist “Darker Angels” damit auch ein politischer Roman, eine Anklage gegen Rassismus und Intoleranz. Bemerkenswerterweise unterliegt Somtow nicht der Versuchung, das Bild des “edlen Negers” zu zeichnen; auf Grund der gesellschaftlichen Situation im Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Schwarzen bei ihm zwar in der Regel Opfer und erhalten damit von vornherein einen Sympathiebonus, doch auch sie laden Schuld auf sich, wĂ€hrend auf der anderen Seite selbst die Weißen auf Erleuchtung und Erlösung durch die schwarzen Götter hoffen können. Fazit: Ein hohes sprachliches Niveau, eine kunstvoll konstruierte Geschichte und eine bedrĂŒckend intensive AtmosphĂ€re machen “Dunkle Engel” zu einem Meisterwerk der phantastischen Literatur!

S. P. Somtow ist das Pseudonym des 1952 in Bangkok geborenen Multitalents Somtow Papinian Sucharitkul. Als Spross einer thailĂ€ndischen Aristokratenfamilie begann er seine kĂŒnstlerische Karriere als Komponist avantgardistischer Musik und versuchte sich dann ab den spĂ€ten 70ÂŽern -mit großen Erfolg, wenn man der Anzahl der Award-Nominierungen Glauben schenkt- als Roman- und Kurzgeschichtenautor in den unterschiedlichsten Genres; kurze Abstecher in den Bereich des Films -als Regisseur, Autor, Produzent oder Komponist- runden das Bild eines sendungsbewussten, kreativen Menschen ab. Im Jahr 2001 besann sich Somtow seiner Wurzeln, der Musik, und zeichnet seit dem fĂŒr eine Vielzahl klassischer musikalischer Projekte in seiner Heimatstadt Bangkok verantwortlich.

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Man schreibt das Jahr 1865. Die Witwe Paula Grainger trifft vor dem in New York aufgebahrten Leichnam Abraham Lincolns den berĂŒhmt-berĂŒchtigten Dichter Walt Whitman. Augenblicklich zieht der alte Mann sie in seinen Bann indem er behauptet, Dinge zu wissen, die ihr aufgeklĂ€rtes Weltbild auf den Kopf stellen.

Wenige Tage spĂ€ter kommen Whitman und sein jugendlicher Geliebter, Zachary Brown, einer Einladung Mrs. Graingers nach. Und es ist Zachary, der zu erzĂ€hlen beginnt: eine Geschichte, in der ihr verstorbener Mann, Reverent Grainger, ihre schwarzhĂ€utige Dienerin, Phoebe, und er selbst eine Rolle spielen, eine Geschichte, in der immer neue Protagonisten, u.a. Edgar Alan Poe und Lord Byron, die BĂŒhne betreten; eine Geschichte, die Schritt fĂŒr Schritt weiter in die Vergangenheit, auf Schlachtfelder und Sklavenfarmen und tief in die afrikanische Mythologie fĂŒhrt.

Schließlich erkennt Mrs. Grainger, dass die Leben all der Menschen aus den Geschichten in den Geschichten zu einem bestimmten Zweck verknĂŒpft sind und dass auch in ihr selbst der Geist der Leopardin namens Eleuthera, was nichts anderes heißt als “Freiheit”, wohnt.

Vor dem Hintergrund des amerikanischen Abolitionismus entwirft Somtow auf hohem sprachlichen Niveau in eindringlichen Bildern eine Geschichte dĂŒsterer Schönheit und Faszination, lĂ€sst afrikanische Mythen und haitianischen Voodoo-Kult in einer nicht zuletzt wegen der Einbindung historischer Persönlichkeiten sehr real erscheinenden Vergangenheit lebendig werden.

Der Aufbau des Romans ist -wie angedeutet- sehr kunstvoll gestaltet: ausgehend von der Gegenwart Paula Graingers, dem Jahr 1865, entwickelt sich die Handlung in Teilen quasi rĂŒckwĂ€rts, verĂ€stelt sich in der Vergangenheit und jeder “Ast” wird von einem anderen Protagonisten bestimmt. Der Leser muss sich mit mehreren Ich-ErzĂ€hlern auseinander setzen, von denen jeder einen Teil zu einem komplexen Muster, dessen GrundgerĂŒst -die Gegenwart- immer wieder durchscheint , beitrĂ€gt.

Dadurch, dass der Autor einerseits die Protagonisten ihre Biografien selbst erzĂ€hlen lĂ€sst, andererseits aber auch andere ein Urteil ĂŒber sie fĂ€llen, sind die Figuren allesamt Ă€ußerst differenziert gezeichnet und sprengen simple Schwarz-Weiß-Schemata. Somtows Charaktere sind nicht per se gut oder böse, sind keine statischen Figuren, sondern entwickeln sich und zeigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Biografie unterschiedliche Facetten ihres Wesens.

Unklar bleibt, welchem Genre sich Somtows Roman zuordnen lĂ€sst. Ich persönlich wĂŒrde ihn eher dem magischen Realismus zuschreiben, weil in der zentralen Figur der Paula Grainger Mythos und Logos eine vollkommene Synthese eingehen. Ganz in ihrer Zeit verhaftet, im Bewusstsein der technischen Segnungen auf der einen und der moralischen Verworfenheit der “Moderne” auf der anderen Seite, ist sie in der Lage und Willens, die Magie zu akzeptieren.

Andere mögen das Buch auf Grund der zuweilen recht drastischen Bilder und der dĂŒsteren Spannung eher dem Horror-Genre zurechnen. Doch hier gilt es zu bedenken, dass es nicht die metaphysischen Aspekte -die Leichen verzehrenden Zombies, die schwarzen Götter und Engel- sind, die das Grauen im Leser wecken, sondern es sind jene Dinge, die Menschen Menschen antun: der Tod auf dem Schlachtfeldern des Sezessionskrieges oder die Unmenschlichkeit der Sklaverei. In deutlicher Abgrenzung zum ganz irdischen Horror steht das ÜbernatĂŒrliche bei Somtow fĂŒr individuelle und kulturelle IdentitĂ€t, fĂŒr Gerechtigkeit und Befreiung des Menschen aus einer sich selbst auferlegten Knechtschaft.

In gewisser Hinsicht ist “Darker Angels” damit auch ein politischer Roman, eine Anklage gegen Rassismus und Intoleranz. Bemerkenswerterweise unterliegt Somtow nicht der Versuchung, das Bild des “edlen Negers” zu zeichnen; auf Grund der gesellschaftlichen Situation im Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Schwarzen bei ihm zwar in der Regel Opfer und erhalten damit von vornherein einen Sympathiebonus, doch auch sie laden Schuld auf sich, wĂ€hrend auf der anderen Seite selbst die Weißen auf Erleuchtung und Erlösung durch die schwarzen Götter hoffen können.

Fazit: Ein hohes sprachliches Niveau, eine kunstvoll konstruierte Geschichte und eine bedrĂŒckend intensive AtmosphĂ€re machen “Dunkle Engel” zu einem Meisterwerk der phantastischen Literatur!

geschrieben am 07.10.2005 | 771 Wörter | 4844 Zeichen

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