ISBN | 3503141529 | |
Autor | Michael Keller | |
Verlag | Erich Schmidt Verlag | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 1308 | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Extras | - |
Die vorliegende Neuerscheinung zum Zwangsvollstreckungsrecht erscheint in der Reihe der „Berliner Handbücher“, bietet mit knapp über 1300 Seiten einen angenehmen Umfang und ist ausweislich des Bearbeiterteams mit vielen Rechtspflegern stark auf die gerichtliche Praxis fokussiert, wobei etwas hochtrabend im Vorwort formuliert wird: „das Zwangsvollstreckungsrecht ist die Bedingung, ohne welche die Rechtsordnung in ihrem Bestand gefährdet wäre.“ Nun gut. Dies ist jedenfalls eine sinnvolle Abgrenzung zu zahlreichen anderen Werken zum Zwangsvollstreckungsrecht, die sich mehr auf das Thema der Forderungsdurchsetzung durch die Anwaltskanzlei besinnen.
Die Gestaltung des Werks ist textlastig, einige Tabellen, Checklisten, Muster oder Berechnungen unterbrechen den allerdings gut gegliederten und durch Hervorhebungen und echte Fußnoten angenehm lesbaren Fließtext.
Inhaltlich wird das Zwangsvollstreckungsrecht umfassend, d.h. in Form der Mobiliar- und der Immobiliarzwangsvollstreckung, erfasst. Dazu kommen das Insolvenzrecht, das Anfechtungsrecht, Arrest und einstweilige Verfügung und ein eigener Abschnitt zu den Kosten der Zwangsvollstreckung.
In einem einleitenden Kapitel zu den allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung und den möglichen Rechtsbehelfen wird nicht nur klassisches ZPO-Wissen dargestellt, sondern auch mittels praktischer Unterkapitel für Wissenszuwachs des Lesers gesorgt, etwa durch Erläuterung von Maßnahmen der effizienten Zwangsvollstreckung unter dem Stichwort Forderungsmanagement (S. 24 ff.). Dies setzt sich auch später fort, etwa bei taktischen Tipps für die Zwangsversteigerung (S. 782). Lobend hervorzuheben ist, dass neben dem Grundlagenwissen stets Raum für Sonderfälle verbleibt, etwa für die Frage nach der Vollstreckbarkeit von Vergleichen, die im PKH-Prüfungsverfahren geschlossen werden (S. 45), das Problem der Zustellung erlassener einstweiliger Verfügungen (S. 55) oder die Vollstreckung gegen eine GbR (S. 72). Nur an mancher Stelle hätte ich mir noch ein wenig ausführlichere Beschreibungen erwartet, z.B. zu der Problematik des (vorläufig) eröffneten Insolvenzverfahrens, dem dadurch entstehenden Vollstreckungshindernis (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO) und dem notorisch den Erlass eines Haftbefehls gegen den die Vermögenserklärung nicht abgebenden Schuldner beantragenden Gläubigervertreter: hier könnte ein Handbuch mehr bieten als Lehrbuchwissen, etwa die Darlegung möglicher Verfügungen oder Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts (S. 119). Immerhin wird das Thema später noch einmal beim Haftbefehl aufgeführt (S. 237 f.).
Innerhalb der verschiedenen Rechtsbehelfe wird sorgfältig auf die möglichen einstweiligen Entscheidungen eingegangen und es gibt sogar ein eigenes Unterkapitel zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 707, 719 ZPO (S. 156 ff.). Die Rechtsbehelfe zu Arrest und einstweiliger Verfügung findet man logischerweise im zugehörigen Kapitel (S. 1109 ff.).
Die danach folgenden Kapitel führen den Leser klassisch nach der Systematik „wegen was wird in was vollstreckt?“, sodass die Zwangsvollstreckung in körperliche Gegenstände durch den Gerichtsvollzieher, wegen Geldforderungen in Forderungen und schließlich in das unbewegliche Vermögen vorgestellt werden. Die Kontopfändung (S. 314 ff.) wird dabei sehr instruktiv erläutert und auch die Rechtsstellung von Gläubiger und Schuldner nach Pfändung und Überweisung einer Forderung (S. 365 ff.) wird gut nachvollziehbar gegenübergestellt. Komplexe Vorgänge wie die Festlegung des Freibetrags bei der Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsforderungen (S. 448 ff.) werden in bemerkenswerter Detailliertheit transparent gemacht. Ebenfalls sehr lehrreich sind die Beschreibungen rund um die Grundlagen der Zwangsversteigerung (S. 707 ff.).
Ob dem Rechtsanwender allerdings wirklich damit gedient ist, wenn sich an vereinzelter Stelle (z.B. S. 239 zum statthaften Rechtsbehelf gegen den Erlass des Haftbefehls) das Handbuch gegen eine klar herrschende Meinung (hier immerhin 3 zitierte OLGe; noch mehr OLGe und nahezu alle Standardkommentare sind etwa bei BeckOK ZPO, § 802g, Rn. 12, aufgeführt) richtet, dürfte fraglich sein. Selbst wenn der Bearbeiter Keller sich hier dogmatisch gegen die h.M. wenden möchte, dürfte dem Anwalt sein Rechtsbehelf wegen Unstatthaftigkeit um die Ohren fliegen, wenn er sich nicht nach der h.M. richtet. Bei anderen Streitfragen (z.B. Rechtsnatur des Pfändungspfandrechts, S. 286 ff.) wird ja letzten Endes auch auf die vermutete Ansicht des BGH abgestellt.
Sodann wird in Kapitel 5 die Zwangsvollstreckung wegen sonstiger Ansprüche und die Räumungsvollstreckung erläutert. Lesenswert sind hier z.B. die Unterkapitel zur Räumung gegen Hausbesetzer (S. 867 ff.) und in Gewaltschutzsachen (S. 874 ff.), aber auch die Gegenüberstellung von klassischer Räumung und dem Berliner Modell (S. 893 ff.). Die Kapitel 6 und 7 sind dem Insolvenz- und dem Anfechtungsrecht vorbehalten. Dabei kommen zwar „nur“ die Grundzüge zur Sprache, wobei die gängigen InsO-Kommentare in den Fußnoten enthalten sind, sodass vertiefende Lektüre stets möglich ist. Dieses Rechtsgebiet befindet sich immer wieder im Wandel, vgl. nur den Überschuldungsbegriff (S. 944), wird aber dennoch von den Bearbeitern Frege und Nicht in pragmatischer Weise präzise erarbeitet. Das ist z.B. bei der Frage der funktionalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts zu sehen (S. 958), aber auch bei der Zusammenfassung der Einflüsse des europäischen Insolvenzrechts (S. 978).
Die in Gesamtdarstellungen oftmals dem Erkenntnisverfahren zugeschlagenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes werden in Kapitel 8 thematisiert. Schon das Unterkapitel zu den Grundlagen ist höchst informativ und das auf engem Raum. Beschreibungen wie der allgemeine Verfahrensgang (S. 1105 ff.) stehen gleichberechtigt neben Detailaspekten wie dem Inhalt des Arrestbefehls (S. 1123) oder der Anwendung der einstweiligen Verfügung im UWG (S. 1132 ff.). Das Schlusskapitel befasst den Leser mit den Kosten der Zwangsvollstreckung, sowohl was die Gerichtskosten, die Rechtsanwaltsgebühren aber auch die Gerichtsvollzieherkosten betrifft.
Was bleibt als Fazit? Dieses Handbuch ist höchst informativ, hat einen intelligenten und ausgewogenen Aufbau und bringt dem Leser nicht nur klassischen Wissenszuwachs mittels rechtlicher Erläuterungen, die man auch im Kommentar finden könnte, sondern auch übergreifendes Verständnis durch die Darlegung von Vorgängen und Abläufen. Es kann dabei nicht ausbleiben, dass man an der einen oder anderen Stelle Kleinigkeiten findet, an denen man herummäkeln kann, und es werden auch sicherlich nicht alle Probleme in der jedem Leser genehmen Tiefe abgehandelt. Dennoch hinterlässt diese Neuerscheinung bei mir einen sehr positiven Eindruck und ich freue mich auf zahlreiche Belastungstests im Vollstreckungsdezernat.
geschrieben am 10.07.2013 | 906 Wörter | 6047 Zeichen
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