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Die zwölf Gesetze der Macht


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Rezension von

Daniel Bigalke

Die zwölf Gesetze der Macht 1. Plan der Rezension Die vorliegende Rezension zum Buch von Hajo Schumacher mit dem Titel „Die zwölf Gesetze der Macht. Angela Merkels Erfolgsgeheimnisse“ soll einen umfassenden Einblick in das Werk des Autors liefern. Dabei werden schwerpunktmĂ€ĂŸig die Darstellung der Hauptthesen und die Einordnung des Buches in die Gegenwartsliteratur erfolgen. Dieses Vorgehen erleichtert eine abschließende Bewertung des Buches. 2. Einordnung des Buches in die Gegenwartsliteratur Wer von Angelika Merkel spricht – das lehrt das politische Geschehen der vergangenen Jahre - sollte davor gefeit sein, sie vorschnell zu beurteilen und damit potentiell zu unterschĂ€tzen. Als Helmut Kohl sie in die Regierung holte und als Familien- und Frauenministerin sowie ab 1995 als Umweltministerin in sein Kabinett aufnahm, wurde dieser Schritt allenfalls als kluger Schachzug des Kanzlers interpretiert. Von „Doppelter QuotenerfĂŒllung“ war die Rede: Eine Frau, die zugleich aus dem Osten kommt. Von ihrem politischen Talent zumindest, welches hinter dem Schatten Helmut Kohls als verschwindend klein galt, schienen die meisten nicht viel zu halten - ein großer Irrtum, wie wir heute wissen. Dennoch war ihr politischer Aufbruch ein Entschlossener und Besonderer , dem, wie Rupert Neudeck in seiner Rezension zum Merkel-Buch von Schumacher feststellt, durch seine strategische Entschlossenheit sogar ein jeder bisher gewohnter und zur Schau getragener „Betroffenheitstourismus“ in allerlei Sachfragen fremd war. Viele Rezensenten deuten damit tendenziell einen besonderen Wesenszug bei Merkel an. Der Autor Hajo Schumacher hat es sich zur Aufgabe gemacht, das politische Geschehen um und die politischen Strategien von Angela Merkel aus sich selbst heraus zu beschreiben. Er betrachtet die Kanzlerin in seinem Buch gleichsam phĂ€nomenologisch, abstrahiert von oberflĂ€chlichem Gerede und naiver Anschauung zugunsten einer ersten wesensgemĂ€ĂŸen Schau des PhĂ€nomens „Merkel“ innerhalb eines ganzen Buches. Schumacher ist sich in seiner Beobachterposition bewußt, dem Risiko entgangen zu sein, Merkel aus normativer oder parteitaktischer Befangenheit heraus vorschnell zu beurteilen. Er verfĂ€llt nicht dem oberflĂ€chlichen GeplĂ€nkel von Ablehnung und Ironie, womit sein Buch jenseits partikularer Gesinnung steht. Und tatsĂ€chlich: Wer wie er von „Erfolgsgeheimnissen“ im Buchtitel spricht und diese zugleich in der Empirie – Angela Merkel als erste deutsche Kanzlerin – bestĂ€tigt sieht, kann sich in seinem Anliegen nahezu unmöglich geirrt haben. Das Buch Schumachers ordnet sich ohne Zweifel in eine Reihe von Publikationen zu Angela Merkel ein, die in den vergangenen Jahren - gehĂ€uft im Jahre 2005 - sowohl den Amtsantritt der Großen Koalition als auch Merkels politische Biographie verstĂ€ndlich zu machen sich vornahmen. Diese BĂŒcher legten entweder Wert auf die Darstellung des politischen Weges der Kanzlerin in ihren eigenen Worten, befaßten sich mit ihrer Karriere aus der Perspektive beobachtender Personen oder abstrahierten von dem Genre der politischen Biographie, um vorrangig ein generelles Bild der Zukunft Deutschlands vor dem Hintergrund der ersten Kanzlerin zu malen. Das Jahr 2006 - so lĂ€ĂŸt sich zum Ende desselben konstatieren – stellt eine Trendwende dar, da hier das erste Buch erschien, welches sich vorrangig mit der Frage von Merkels Weg zur politischen Macht auseinandersetzt. Diesen Trend setzt nunmehr Hajo Schumacher fort, wenn er in seinem 256 Seiten umfassenden Buch, welches im September erschien, die machtpolitischen Erfolgsrezepte Merkels detaillierter beschreibt. In diesem Buch tritt die persönliche Biographie Merkels, ostdeutsche Pfarrerstochter aus dem uckermĂ€rkischen Templin und einst geachtete Physikerin an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, völlig zurĂŒck. Diesen Weg verlĂ€sst der Autor nur, wenn die persönliche Biographie der Kanzlerin dazu geeignet ist, ihren machtpolitischen Weg verstĂ€ndlicher zu machen. Hier nun liegt der besondere Ansatz Schumachers. 3. Hintergrund und Motivation des Autors Hajo Schumacher, Jahrgang 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie. Er arbeitete von 1990 bis 2000 beim SPIEGEL, zuletzt als Co-Leiter des Berliner BĂŒros. Von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur der Zeitschrift MAX in Hamburg und lebt heute als freier Autor in Berlin. Seit dem 30. August 2006 moderiert er gemeinsam mit dem ehemaligen BILD-Journalisten Hans-Hermann Tiedje die wöchentliche GesprĂ€chssendung „Links-Rechts“ auf N24. Schumacher hat bereits vor seinem Merkel-Buch diverse Schriften verfaßt und trat zudem ĂŒber Kolumnen bei „Spiegel Online“ (Pseudonym: Achim Achilles) in Erscheinung. Neben seinem 2004 erschienen Portrait zu Roland Koch ist sein neues Buch ĂŒber Angela Merkel das zweite, welches sich mit Strategie und Lebenslauf deutscher Politiker auseinandersetzt. Daß Schumacher dabei von seinen bisherigen Publikationen und entsprechend absolvierten Reflexionen profitieren kann, macht das vorliegende Buch ĂŒber Merkel deutlich, denn hier stellt er beide Personen gegenĂŒber: „Das VerhĂ€ltnis der beiden (Koch/Merkel), widersprĂŒchlich und gleichsam verwoben, erinnerte eine Weile an das Duo Lafontaine/Schröder, genauso machtbewusst, genauso grundverschieden. Koch ist der bessere Analytiker, Merkel die bessere Strategin. Er spricht eher die Bosse an, sie die Basis. Sie verfĂŒgt ĂŒber einen Werkzeugkasten, der alles bietet vom Skalpell bis zur Dampframme, er fĂ€hrt am liebsten Panzer. Er denkt mechanisch, sie systemisch. Er will Recht haben, sie will siegen. Vor allem aber: Sie ist eine Frau. Er dagegen gehört dem edlen Geschlecht an, das in der CDU von Natur aus fĂŒhrt. So jedenfalls sehen es die Hirsche der Partei.“ (120) Schumacher traf Angela Merkel zum ersten Mal 1995, als sie gerade ihr Amt als Umweltministerin ĂŒbernahm. Er hat sie seither regelmĂ€ĂŸig zu Interviews, auf Reisen und Parteitagen gesprochen, so daß der Autor auf ein differenziertes Bild von der Kanzlerin zurĂŒckgreifen kann. Man merkt es dem Buch deshalb auch an, daß der Autor von Merkels erfolgreichem Agieren in der SpendenaffĂ€re der CDU und ihrer zunĂ€chst unglĂŒcklichen Niederlage in der Kanzler-Frage gegen Edmund Stoiber beeindruckt ist. Dem aufmerksamen Leser wird dennoch schnell klar, daß er es hier mit angewandtem politologischem Sachversand zu tun hat, der zugleich die personellen PhĂ€nomene und AblĂ€ufe bundesdeutscher Politik zu verstehen und darĂŒber hinaus sinnvoll in Korrelation zu setzen vermag, um – so der Politologe Karl-Rudolf-Korte in seinem Vorwort – nach tieferen ErklĂ€rungen zu suchen. 4. Grundthesen Angela Merkel wird in diesem Buch als gesamtdeutsch, liberal, unerschrocken, neugierig, risikobewußt und patriotisch beschrieben. Faßt könnte man meinen, daß des dem Autor im Sinne eines bereits frĂŒher von ihm veröffentlichten Buches darauf ankommt, bei Merkel Eigenschaften konstatieren zu können, deren Existenz im gesamtdeutschen Bewußtsein des Volkes erst wieder entstehen mĂŒssen. So ranken sich die Grundthesen darum, was Merkel an politischen Instinkten mit sich bringt und welche FĂ€higkeiten sie sich im Laufe ihres Lebens angeeignet hat, um den höchsten Ämtern und den grĂ¶ĂŸten Depressionen zu genĂŒgen. In zwölf Kapiteln analysiert Schumacher die Hauptelemente ihres erfolgszentrierten FĂŒhrungsstils. Seine Thesen lassen sich folgendermaßen verdichten: ‱ Der politische Erfolg Angela Merkels ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer bewußten Machtstrategie. ‱ Ihre Standhaftigkeit gegenĂŒber Rivalen und Kritikern in den vergangenen Jahren resultiert aus den Erfahrungen, die sie in der DDR sammelte, was ihr heute zum Vorteil gereicht. ‱ Der Mensch Angela Merkel wurde nicht zur mĂ€chtigsten deutschen Person, weil er weiblichen Geschlechts ist, sondern trotz dieser Tatsache. Sie kĂ€mpfte sich durch die Masse mĂ€nnlicher Konkurrenten: nachgiebig und mit starken Ellenbogen zugleich. 5. AusfĂŒhrliche Zusammenfassung Daß die Thesen stimmig sind und so manches politische PhĂ€nomen innerhalb Merkels Werdegang zu erklĂ€ren vermögen, liegt auf der Hand. Dennoch fĂ€llt dem Leser auf, daß der Autor dergleichen Behauptungen (z.B. „Erfahrungen aus der DDR“) nicht unbewiesen lassen kann. Seine Thesen bedĂŒrfen einer Tiefendimension, die er sogleich auch abliefert. Er charakterisiert die Kanzlerin detaillierter als „MĂ€nnerleserin“, „Freibeuterin“ und „BrĂŒckenbauerin“ und zeigt anhand dieser Charakteristika ihren Willen zum Sieg ebenso auf, wie ihre FĂ€higkeit, mit naturwissenschaftlichem Denken Probleme zu bewĂ€ltigen. Auch besitze Angela Merkel neben „protestantischer Arbeits- und Bescheidenheitsethik“ durch ihre Herkunft „ZĂŒge eines modischen Retroschicks“. (31) Der Leser bekommt ausfĂŒhrlich erklĂ€rt, wie Merkel, die alle ihre KĂ€mpfe im Namen der Freiheit gefĂŒhrt habe, eine Herrscherin wurde, die sich Respekt verschaffte. Schumacher weiß beispielsweise: „Wie sie Koch schließlich als Rivalen losgeworden ist, zeigt prototypisch Merkels Umgang mit MĂ€nnern. Sie hat ihn nicht erledigt; die Kraft dazu hĂ€tte sie kaum gehabt. Aber sie hat ihm Fallen gestellt und auf den Moment gewartet, an dem sich einige typisch mĂ€nnliche WesenszĂŒge von allein Bahn brechen wĂŒrden, vor allem Ungeduld und Eitelkeit. Angela Merkel ermordet ihre Konkurrenten nicht. Sie wartet darauf, dass die sich selbst erledigen.“ (121) 5.1 „MĂ€nnerleserin“ (118ff.) Mit diesem Punkt spricht Schumacher einen zentralen Aspekt an. Die SpendenaffĂ€re in der CDU vom Dezember 1999 – von Schumacher selbst nur marginal abgehandelt - war bekanntlich ein Schock, der ungeahnte personelle Konsequenzen mit sich zog. Ehemalige FĂŒhrungspersönlichkeiten, mĂ€nnliche Gegenspieler galten seit dem 4. November 1999 als BetrĂŒger. In dieser dĂŒsteren Phase in der Geschichte der Union wurde wegen Steuerhinterziehung Haftbefehl gegen Walther Leisler Kiep, ehemaliger CDU-Schatzmeister, erlassen. Kiep erhielt im August 1991 eine Millionen DM vom Waffenhandelslobbyisten Karlheinz Schreiber und leitete diese als Spende an die Union weiter. Die GeschĂ€fte einiger Vertrauter Helmut Kohls boten intern das Bild einer straff organisierten Partei dar, der sich Merkel zu stellen hatte und dies auch erfolgreich tat. Im November 1999 fiel es nunmehr ihr zu, die Öffentlichkeit aufzuklĂ€ren. Schließlich gaben auch Ex-GeneralsekretĂ€r Heiner Geißler und Helmut Kohl zu, ĂŒber die Millionenspenden informiert gewesen zu sein. Bedeutende mĂ€nnliche Persönlichkeiten gerieten in Verruf, und Merkel absolvierte in Pressekonferenzen - hĂ€ufig hilflos aber erfolgreich – die Aufgabe, gnadenlose AufklĂ€rung zuzusichern. Sie eignete sich aus der Not heraus einen Umgang mit ihren mĂ€nnlichen Mitstreitern aber auch Kontrahenten an. Dieser Umgang, der sie gestĂ€rkt aus der Krise hervorgehen ließ und den sie – es sei an die FĂ€lle Merz, Koch und Wulff erinnert – immer wieder anwendete, sicherte ihr nachhaltig Vorteile in der Partei. Fast wĂŒnschte man sich, daß Schumacher hier noch mehr Details fĂŒr seine „MĂ€nnerleserin“-These bietet. Er stellt zu Recht fest, daß sich Merkels vermeintliche Opfer „fast immer selbst erledigt“ (118) haben. Sie agierte bekanntlich hervorgehend aus dem souverĂ€nen Umgang mit mĂ€nnlichen Kontrahenten anschließend dauerhaft offensiv. Mit dieser Ansicht einer mit festem Standbein agierenden Angela Merkel befindet sich Schumacher im Einklang mit Verlautbarungen der Zeitung „Spiegel“ aus dem Jahre 2000 , war Schumacher bei dieser Zeitung doch selbst zehn Jahre lang beschĂ€ftigt. Freilich bietet er hingegen hier die erste geballte Analyse zu Merkels Strategie. 5.2 „Freibeuterin“ (169ff.) Im Zentrum von Merkels weiterer Strategie auf dem Wege zum Erfolg stehen in der Analyse Schumachers ihre außerordentlichen FĂ€higkeiten, Netzwerke zu knĂŒpfen, zu pflegen und strategisch zu nutzen. Dazu gehöre auch das Wissen darum, wie ihre Rivalen funktionieren. Dieses Wissen und ihre verwegene Art – ihr „GemĂŒt einer SeerĂ€uberin“ (169) - habe ihr, so Schumacher, eine permanente politische Beute gesichert. Er zieht auch hier den Bogen zu Merkels DDR-Erfahrungen: Sie sei eine grandiose Seilschaftlerin, die grundsĂ€tzlich siegen will und sich gern unterschĂ€tzen lĂ€ĂŸt. Das in der DDR lebensnotwendige Heimlichtun habe sie deshalb verinnerlicht und weiter angewandt. Zur Freibeuterei gehört nach Schumacher auch das Bilden von Banden und das strategisch einzugehende Risiko. Einen wichtigen Aspekt in diesem Zusammenhang hĂ€tte Schumacher allerdings weiter als nur auf einer Seite (187) ausfĂŒhren können: den FAZ-Artikel von 1999. Der entschiedene Sprung, die politische decision, erfordert eine schnelle Auffassungsgabe, welche den Sprung zum richtigen Augenblick ermöglicht. So geschehen etwa am 21. Dezember 1999. Merkel wollte den AufklĂ€rungsprozeß und einen Neuanfang in der CDU beschleunigen. Die 46-JĂ€hrige rief am 21. Dezember 1999 den damaligen Korrespondenten Karl Feldmeyer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) an und schlug ihm ein GesprĂ€ch vor. Am 22. Dezember 1999 erschien der Artikel Angela Merkels. Heute gilt er als das historische Dokument fĂŒr den von Merkel initiierten Bruch der CDU mit Helmut Kohl: „Die von Helmut Kohl eingerĂ€umten VorgĂ€nge haben der Partei Schaden zugefĂŒgt,“ schrieb sie. Die Partei mĂŒsse laufen lernen und „sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muß sich wie jemand in der PubertĂ€t von zu Hause lösen.“ WĂ€hrend innerparteiliche Konkurrenten schwiegen, nutzte Merkel den richtigen Augenblick, um sich in Szene zu setzen. Niemand außer ihr hatte den Mut und die UnabhĂ€ngigkeit, derartiges zu publizieren. Merkel ging ihr grĂ¶ĂŸtes politisches Risiko ein. Sie war tatsĂ€chlich „Freibeuterin“ und in gewisser Weise dadurch „MĂ€nnerleserin“. Hajo Schumacher setzt mit seiner trefflichen Terminologie am Beispiel vieler weiterer Begebenheiten neue MaßstĂ€be. 5.3 „BrĂŒckenbauerin“ (154ff.) Schumacher schreibt ferner: „Wie ihr politischer Ziehvater regiert auch Angela Merkel per Telefon. Sonntags nach dem Mittagessen fĂ€ngt sie an, Vertraute und wichtige Parteimitglieder anzurufen. Vor Beginn des ‚Tatort‘ ist sie selten damit fertig. Sie ermittelt Stimmungen, organisiert Mehrheiten, droht und tobt.“ (80) Dieses Kapitel kann als eines der zentralen des Buches gelten, da die Szenen, in denen Schumacher die Kanzlerin beschreibt, einen bisher nie dagewesenen und humorvollen Einblick in ihre Wesensart bieten. Er offenbart, daß diese Frau neben risikobewußten Mauern auch strategische BrĂŒcken zu bauen in der Lage ist. „Die Zeit Kohls ist unwiederbringlich vorĂŒber“ lautete die Schlagzeile in der FAZ. Die SpendenaffĂ€re machte ihr auf diese Weise klar, wie wenig sie trotz acht Jahren Regierungs- und Parteiarbeit in das Machtzentrum vordrang. Im Fall der SpendenaffĂ€re war das ein Vorteil, und als solchen spielte sie ihre bisherige Randstellung aus – baute BrĂŒcken zu medialen Vermittlern und neuen personellen Strukturen in der Partei. Sie wußte tatsĂ€chlich die Freiheit, die ihr aus dem bestandenen Risiko erwuchs, zu nutzen. Ihr Amt und ihre politische Erfahrung hatten sie als Mensch – soziologische Studien erkannten dieses PhĂ€nomen bei Politikern bereits frĂŒher - verĂ€ndert. Merkel reprĂ€sentiere einen verbindenden „gesamtgesellschaftlichen Vermittlungsausschuss“ (154). Schumacher betont in diesem Zusammenhang wiederum, daß Abenteuer und Freiheit die SehnsĂŒchte Merkels in der DDR gewesen seien. Der Westen habe ihr die demokratische Basis geboten, um dieses Streben schließlich auszuleben. Da ihr Vater 1954 als Pastor mit ihr in den sozialistischen und zugleich per definitionem atheistischen Teilstaat des Ostens ging, tat er dies – heute wenig bekannt - aus missionarischer Überzeugung. Merkels SehnsĂŒchte könnten damit tatsĂ€chlich ĂŒber die Jahre so gereift sein, wie es Schumacher beschreibt. Das politische VerstĂ€ndnis der jungen Angela Merkel beruhte – so auch Schumacher - nicht auf erlebter Erfahrung, sondern auf dem ertrĂ€umten Kontrast zwischen Ost und West. Diesen Kontrast verknĂŒpft Schumacher trefflich mit Merkles praktischer politischer Motivationslage und verortet hier u. a. ihr Streben nach verbindenden BrĂŒcken. Freiheit und Demokratie bargen fĂŒr sie das Potential zum BrĂŒckenbau zwischen Menschen. Nun reprĂ€sentiere sie selber die Einheit so vieler kontrĂ€rer sozialer Gruppen. (156) Schumacher bezieht sich immer wieder auf ihren biographischen Hintergrund und erklĂ€rt aus ihm das heutige Handeln der Kanzlerin. Dem reflektierenden Leser erscheint das sehr plausibel. 6. Bewertung und Kritik „Gehe ins Offene“ – so habe ein guter Freund Merkels ihr einst ein Buch gewidmet. Das Buch von Hajo Schumacher suggeriert womöglich unbeabsichtigt aber erstaunlich komplementĂ€r, daß Merkel diese Forderung tatsĂ€chlich auslebte, wodurch sich ihr Drang danach, freiheitsbewußt, machtbewußt aber auch kĂŒhn zu agieren manifestierte. Schumachers Buch, welches entsprechende Beweise und Grundschemata des Verhaltens prĂ€sentiert und welches ferner interessante Interpretationen auf der Basis persönlicher Bekanntschaft mit der Kanzlerin darbietet, ist dadurch ausgesprochen lesenswert. Es zeigt, daß Merkels politischer Erfolg tatsĂ€chlich nicht zufĂ€llig ist und höchst unterschiedliche biographische und motivationale Facetten aufweist, die ĂŒber bloße Begriffe oder Meinungen seitens ihrer Kritiker kaum erfaßbar sind. Es bietet gleichsam einen interpretativen und hermeneutischen SchlĂŒssel zu der TĂŒr, hinter der sich das Wesen der Machtpolitik verbirgt, um zugleich damit den Aufstieg Angela Merkels als Physikerin zur Bundeskanzlerin vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verantwortungs- und auch Gesinnungsethik beispielhaft verstĂ€ndlich zu machen. Ist der Titel „Die zwölf Gesetze der Macht“ zwar irrefĂŒhrend, da Schumacher diese an keiner Stelle expliziert, so spricht er dennoch kapitelweise in geradezu niezscheanischer Manier von Merkels Willen zur Macht und betont, daß sie mit Nietzsche sogar das protestantische Pfarrerelternhaus verbindet. (35) Ferner betont er ihre solide Ausbildung (92ff.), die Eroberung der Partei (53ff.) und ihr Frauennetzwerk (82ff.). Schumacher zeigt, daß Merkel weiß, wie man Risiken minimiert ohne sie ganz zu scheuen. (143ff.) Das ist eine erstaunliche Leistung, die sich zugleich durch zwei in diesem Buch vorhandene Ebenen als fruchtbar erweist: witzige Beschreibungen der Kanzlerin und ihrer Konkurrenten konvergieren mit sorgfĂ€ltigen politologischen Analysen. Freilich hinterlĂ€ĂŸt das beim Leser eine immanente Sympathie fĂŒr die Kanzlerin. Diese Sympathie gibt zu bedenken, ob der Autor nicht selbst dem von vielen Menschen verkannten Charme Merkels erlegen gewesen sein könnte. So bleiben auch einige womöglich dieser Haltung geschuldete WidersprĂŒche bei vollendeter LektĂŒre zurĂŒck. ZunĂ€chst nennt Schumacher die Vorsicht als die Machtstrategie Merkels. „Misserfolge vermeiden” (143) heiße ihre Grundmaxime. Hingegen ist das Kapitel ĂŒber die „Freibeuterin“ ein literarisches Stahlgewitter des Mutes: „Ich fĂŒrchte mich vor nichts!” (169) heißt es dort ĂŒber ihre „Piratenseele“ (169). Vielleicht ist es aber gerade in VerlĂ€ngerung des dialektischen Bildes die Koinzidenz des GegensĂ€tzlichen, die das Wesen Merkels ausmacht und die Schumacher freiweg artikulieren wollte. Das Ergebnis dieser Studie ĂŒber die deutsche Bundeskanzlerin kann sich jedenfalls sehen lassen. Es ist komplex, sperrig und in jedem Fall nicht Durchschnitt – wie das politische und menschliche Wesen der Kanzlerin selbst, was es bekanntlich fĂŒr sie schwermacht, von allen geliebt zu werden oder analog dazu fĂŒr das Buch Schumachers erschwert, jedem Leser kompromißlos zuzusagen. Hinter Merkel – so bleibt zu bilanzieren - steckt eine ganz eigene Art zu denken, ein eigenes Prinzip - einerseits wissenschaftlich nĂŒchtern, andererseits mit viel GefĂŒhl, einerseits vorsichtig und andererseits mit ungehemmtem Risikobewußtsein. Im Sinne NiccolĂČ Machiavellis ist es ihr gelungen, aus der persönlichen vertĂș (Tugend) heraus die occasione (politische Gelegenheit) alltĂ€glich und entschieden beim Schopfe zu packen, um aus der SchwĂ€che eine strategische Überlegenheit erwachsen zu lassen. Das Bewahren und ansatzweise Wiederherstellen der GlaubwĂŒrdigkeit der CDU bis hinein in ihr eigentliches StammwĂ€hlerpotential bleibt eine besondere Herausforderung der Gegenwart. Angela Merkel hat sie fĂŒr sich gemeistert und sich damit einen Platz in der Galerie der berĂŒhmtesten deutschen Frauen gesichert. Es bleibt zu hoffen, daß ihr „Prinzip“ immer mehr zu demjenigen ihrer Partei wird.

1. Plan der Rezension

Die vorliegende Rezension zum Buch von Hajo Schumacher mit dem Titel „Die zwölf Gesetze der Macht. Angela Merkels Erfolgsgeheimnisse“ soll einen umfassenden Einblick in das Werk des Autors liefern. Dabei werden schwerpunktmĂ€ĂŸig die Darstellung der Hauptthesen und die Einordnung des Buches in die Gegenwartsliteratur erfolgen. Dieses Vorgehen erleichtert eine abschließende Bewertung des Buches.

2. Einordnung des Buches in die Gegenwartsliteratur

Wer von Angelika Merkel spricht – das lehrt das politische Geschehen der vergangenen Jahre - sollte davor gefeit sein, sie vorschnell zu beurteilen und damit potentiell zu unterschĂ€tzen. Als Helmut Kohl sie in die Regierung holte und als Familien- und Frauenministerin sowie ab 1995 als Umweltministerin in sein Kabinett aufnahm, wurde dieser Schritt allenfalls als kluger Schachzug des Kanzlers interpretiert. Von „Doppelter QuotenerfĂŒllung“ war die Rede: Eine Frau, die zugleich aus dem Osten kommt. Von ihrem politischen Talent zumindest, welches hinter dem Schatten Helmut Kohls als verschwindend klein galt, schienen die meisten nicht viel zu halten - ein großer Irrtum, wie wir heute wissen. Dennoch war ihr politischer Aufbruch ein Entschlossener und Besonderer , dem, wie Rupert Neudeck in seiner Rezension zum Merkel-Buch von Schumacher feststellt, durch seine strategische Entschlossenheit sogar ein jeder bisher gewohnter und zur Schau getragener „Betroffenheitstourismus“ in allerlei Sachfragen fremd war. Viele Rezensenten deuten damit tendenziell einen besonderen Wesenszug bei Merkel an.

Der Autor Hajo Schumacher hat es sich zur Aufgabe gemacht, das politische Geschehen um und die politischen Strategien von Angela Merkel aus sich selbst heraus zu beschreiben. Er betrachtet die Kanzlerin in seinem Buch gleichsam phĂ€nomenologisch, abstrahiert von oberflĂ€chlichem Gerede und naiver Anschauung zugunsten einer ersten wesensgemĂ€ĂŸen Schau des PhĂ€nomens „Merkel“ innerhalb eines ganzen Buches. Schumacher ist sich in seiner Beobachterposition bewußt, dem Risiko entgangen zu sein, Merkel aus normativer oder parteitaktischer Befangenheit heraus vorschnell zu beurteilen. Er verfĂ€llt nicht dem oberflĂ€chlichen GeplĂ€nkel von Ablehnung und Ironie, womit sein Buch jenseits partikularer Gesinnung steht. Und tatsĂ€chlich: Wer wie er von „Erfolgsgeheimnissen“ im Buchtitel spricht und diese zugleich in der Empirie – Angela Merkel als erste deutsche Kanzlerin – bestĂ€tigt sieht, kann sich in seinem Anliegen nahezu unmöglich geirrt haben.

Das Buch Schumachers ordnet sich ohne Zweifel in eine Reihe von Publikationen zu Angela Merkel ein, die in den vergangenen Jahren - gehĂ€uft im Jahre 2005 - sowohl den Amtsantritt der Großen Koalition als auch Merkels politische Biographie verstĂ€ndlich zu machen sich vornahmen. Diese BĂŒcher legten entweder Wert auf die Darstellung des politischen Weges der Kanzlerin in ihren eigenen Worten, befaßten sich mit ihrer Karriere aus der Perspektive beobachtender Personen oder abstrahierten von dem Genre der politischen Biographie, um vorrangig ein generelles Bild der Zukunft Deutschlands vor dem Hintergrund der ersten Kanzlerin zu malen.

Das Jahr 2006 - so lĂ€ĂŸt sich zum Ende desselben konstatieren – stellt eine Trendwende dar, da hier das erste Buch erschien, welches sich vorrangig mit der Frage von Merkels Weg zur politischen Macht auseinandersetzt. Diesen Trend setzt nunmehr Hajo Schumacher fort, wenn er in seinem 256 Seiten umfassenden Buch, welches im September erschien, die machtpolitischen Erfolgsrezepte Merkels detaillierter beschreibt. In diesem Buch tritt die persönliche Biographie Merkels, ostdeutsche Pfarrerstochter aus dem uckermĂ€rkischen Templin und einst geachtete Physikerin an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, völlig zurĂŒck. Diesen Weg verlĂ€sst der Autor nur, wenn die persönliche Biographie der Kanzlerin dazu geeignet ist, ihren machtpolitischen Weg verstĂ€ndlicher zu machen. Hier nun liegt der besondere Ansatz Schumachers.

3. Hintergrund und Motivation des Autors

Hajo Schumacher, Jahrgang 1964, studierte Journalistik, Politologie und Psychologie. Er arbeitete von 1990 bis 2000 beim SPIEGEL, zuletzt als Co-Leiter des Berliner BĂŒros. Von 2000 bis 2002 war er Chefredakteur der Zeitschrift MAX in Hamburg und lebt heute als freier Autor in Berlin. Seit dem 30. August 2006 moderiert er gemeinsam mit dem ehemaligen BILD-Journalisten Hans-Hermann Tiedje die wöchentliche GesprĂ€chssendung „Links-Rechts“ auf N24. Schumacher hat bereits vor seinem Merkel-Buch diverse Schriften verfaßt und trat zudem ĂŒber Kolumnen bei „Spiegel Online“ (Pseudonym: Achim Achilles) in Erscheinung. Neben seinem 2004 erschienen Portrait zu Roland Koch ist sein neues Buch ĂŒber Angela Merkel das zweite, welches sich mit Strategie und Lebenslauf deutscher Politiker auseinandersetzt. Daß Schumacher dabei von seinen bisherigen Publikationen und entsprechend absolvierten Reflexionen profitieren kann, macht das vorliegende Buch ĂŒber Merkel deutlich, denn hier stellt er beide Personen gegenĂŒber:

„Das VerhĂ€ltnis der beiden (Koch/Merkel), widersprĂŒchlich und gleichsam verwoben, erinnerte eine Weile an das Duo Lafontaine/Schröder, genauso machtbewusst, genauso grundverschieden. Koch ist der bessere Analytiker, Merkel die bessere Strategin. Er spricht eher die Bosse an, sie die Basis. Sie verfĂŒgt ĂŒber einen Werkzeugkasten, der alles bietet vom Skalpell bis zur Dampframme, er fĂ€hrt am liebsten Panzer. Er denkt mechanisch, sie systemisch. Er will Recht haben, sie will siegen. Vor allem aber: Sie ist eine Frau. Er dagegen gehört dem edlen Geschlecht an, das in der CDU von Natur aus fĂŒhrt. So jedenfalls sehen es die Hirsche der Partei.“ (120)

Schumacher traf Angela Merkel zum ersten Mal 1995, als sie gerade ihr Amt als Umweltministerin ĂŒbernahm. Er hat sie seither regelmĂ€ĂŸig zu Interviews, auf Reisen und Parteitagen gesprochen, so daß der Autor auf ein differenziertes Bild von der Kanzlerin zurĂŒckgreifen kann. Man merkt es dem Buch deshalb auch an, daß der Autor von Merkels erfolgreichem Agieren in der SpendenaffĂ€re der CDU und ihrer zunĂ€chst unglĂŒcklichen Niederlage in der Kanzler-Frage gegen Edmund Stoiber beeindruckt ist. Dem aufmerksamen Leser wird dennoch schnell klar, daß er es hier mit angewandtem politologischem Sachversand zu tun hat, der zugleich die personellen PhĂ€nomene und AblĂ€ufe bundesdeutscher Politik zu verstehen und darĂŒber hinaus sinnvoll in Korrelation zu setzen vermag, um – so der Politologe Karl-Rudolf-Korte in seinem Vorwort – nach tieferen ErklĂ€rungen zu suchen.

4. Grundthesen

Angela Merkel wird in diesem Buch als gesamtdeutsch, liberal, unerschrocken, neugierig, risikobewußt und patriotisch beschrieben. Faßt könnte man meinen, daß des dem Autor im Sinne eines bereits frĂŒher von ihm veröffentlichten Buches darauf ankommt, bei Merkel Eigenschaften konstatieren zu können, deren Existenz im gesamtdeutschen Bewußtsein des Volkes erst wieder entstehen mĂŒssen. So ranken sich die Grundthesen darum, was Merkel an politischen Instinkten mit sich bringt und welche FĂ€higkeiten sie sich im Laufe ihres Lebens angeeignet hat, um den höchsten Ämtern und den grĂ¶ĂŸten Depressionen zu genĂŒgen. In zwölf Kapiteln analysiert Schumacher die Hauptelemente ihres erfolgszentrierten FĂŒhrungsstils. Seine Thesen lassen sich folgendermaßen verdichten:

‱ Der politische Erfolg Angela Merkels ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer bewußten Machtstrategie.

‱ Ihre Standhaftigkeit gegenĂŒber Rivalen und Kritikern in den vergangenen Jahren resultiert aus den Erfahrungen, die sie in der DDR sammelte, was ihr heute zum Vorteil gereicht.

‱ Der Mensch Angela Merkel wurde nicht zur mĂ€chtigsten deutschen Person, weil er weiblichen Geschlechts ist, sondern trotz dieser Tatsache. Sie kĂ€mpfte sich durch die Masse mĂ€nnlicher Konkurrenten: nachgiebig und mit starken Ellenbogen zugleich.

5. AusfĂŒhrliche Zusammenfassung

Daß die Thesen stimmig sind und so manches politische PhĂ€nomen innerhalb Merkels Werdegang zu erklĂ€ren vermögen, liegt auf der Hand. Dennoch fĂ€llt dem Leser auf, daß der Autor dergleichen Behauptungen (z.B. „Erfahrungen aus der DDR“) nicht unbewiesen lassen kann. Seine Thesen bedĂŒrfen einer Tiefendimension, die er sogleich auch abliefert.

Er charakterisiert die Kanzlerin detaillierter als „MĂ€nnerleserin“, „Freibeuterin“ und „BrĂŒckenbauerin“ und zeigt anhand dieser Charakteristika ihren Willen zum Sieg ebenso auf, wie ihre FĂ€higkeit, mit naturwissenschaftlichem Denken Probleme zu bewĂ€ltigen. Auch besitze Angela Merkel neben „protestantischer Arbeits- und Bescheidenheitsethik“ durch ihre Herkunft „ZĂŒge eines modischen Retroschicks“. (31) Der Leser bekommt ausfĂŒhrlich erklĂ€rt, wie Merkel, die alle ihre KĂ€mpfe im Namen der Freiheit gefĂŒhrt habe, eine Herrscherin wurde, die sich Respekt verschaffte. Schumacher weiß beispielsweise:

„Wie sie Koch schließlich als Rivalen losgeworden ist, zeigt prototypisch Merkels Umgang mit MĂ€nnern. Sie hat ihn nicht erledigt; die Kraft dazu hĂ€tte sie kaum gehabt. Aber sie hat ihm Fallen gestellt und auf den Moment gewartet, an dem sich einige typisch mĂ€nnliche WesenszĂŒge von allein Bahn brechen wĂŒrden, vor allem Ungeduld und Eitelkeit. Angela Merkel ermordet ihre Konkurrenten nicht. Sie wartet darauf, dass die sich selbst erledigen.“ (121)

5.1 „MĂ€nnerleserin“ (118ff.)

Mit diesem Punkt spricht Schumacher einen zentralen Aspekt an. Die SpendenaffĂ€re in der CDU vom Dezember 1999 – von Schumacher selbst nur marginal abgehandelt - war bekanntlich ein Schock, der ungeahnte personelle Konsequenzen mit sich zog. Ehemalige FĂŒhrungspersönlichkeiten, mĂ€nnliche Gegenspieler galten seit dem 4. November 1999 als BetrĂŒger. In dieser dĂŒsteren Phase in der Geschichte der Union wurde wegen Steuerhinterziehung Haftbefehl gegen Walther Leisler Kiep, ehemaliger CDU-Schatzmeister, erlassen. Kiep erhielt im August 1991 eine Millionen DM vom Waffenhandelslobbyisten Karlheinz Schreiber und leitete diese als Spende an die Union weiter. Die GeschĂ€fte einiger Vertrauter Helmut Kohls boten intern das Bild einer straff organisierten Partei dar, der sich Merkel zu stellen hatte und dies auch erfolgreich tat.

Im November 1999 fiel es nunmehr ihr zu, die Öffentlichkeit aufzuklĂ€ren. Schließlich gaben auch Ex-GeneralsekretĂ€r Heiner Geißler und Helmut Kohl zu, ĂŒber die Millionenspenden informiert gewesen zu sein. Bedeutende mĂ€nnliche Persönlichkeiten gerieten in Verruf, und Merkel absolvierte in Pressekonferenzen - hĂ€ufig hilflos aber erfolgreich – die Aufgabe, gnadenlose AufklĂ€rung zuzusichern. Sie eignete sich aus der Not heraus einen Umgang mit ihren mĂ€nnlichen Mitstreitern aber auch Kontrahenten an. Dieser Umgang, der sie gestĂ€rkt aus der Krise hervorgehen ließ und den sie – es sei an die FĂ€lle Merz, Koch und Wulff erinnert – immer wieder anwendete, sicherte ihr nachhaltig Vorteile in der Partei. Fast wĂŒnschte man sich, daß Schumacher hier noch mehr Details fĂŒr seine „MĂ€nnerleserin“-These bietet. Er stellt zu Recht fest, daß sich Merkels vermeintliche Opfer „fast immer selbst erledigt“ (118) haben. Sie agierte bekanntlich hervorgehend aus dem souverĂ€nen Umgang mit mĂ€nnlichen Kontrahenten anschließend dauerhaft offensiv. Mit dieser Ansicht einer mit festem Standbein agierenden Angela Merkel befindet sich Schumacher im Einklang mit Verlautbarungen der Zeitung „Spiegel“ aus dem Jahre 2000 , war Schumacher bei dieser Zeitung doch selbst zehn Jahre lang beschĂ€ftigt. Freilich bietet er hingegen hier die erste geballte Analyse zu Merkels Strategie.

5.2 „Freibeuterin“ (169ff.)

Im Zentrum von Merkels weiterer Strategie auf dem Wege zum Erfolg stehen in der Analyse Schumachers ihre außerordentlichen FĂ€higkeiten, Netzwerke zu knĂŒpfen, zu pflegen und strategisch zu nutzen. Dazu gehöre auch das Wissen darum, wie ihre Rivalen funktionieren. Dieses Wissen und ihre verwegene Art – ihr „GemĂŒt einer SeerĂ€uberin“ (169) - habe ihr, so Schumacher, eine permanente politische Beute gesichert. Er zieht auch hier den Bogen zu Merkels DDR-Erfahrungen: Sie sei eine grandiose Seilschaftlerin, die grundsĂ€tzlich siegen will und sich gern unterschĂ€tzen lĂ€ĂŸt. Das in der DDR lebensnotwendige Heimlichtun habe sie deshalb verinnerlicht und weiter angewandt. Zur Freibeuterei gehört nach Schumacher auch das Bilden von Banden und das strategisch einzugehende Risiko. Einen wichtigen Aspekt in diesem Zusammenhang hĂ€tte Schumacher allerdings weiter als nur auf einer Seite (187) ausfĂŒhren können: den FAZ-Artikel von 1999.

Der entschiedene Sprung, die politische decision, erfordert eine schnelle Auffassungsgabe, welche den Sprung zum richtigen Augenblick ermöglicht. So geschehen etwa am 21. Dezember 1999. Merkel wollte den AufklĂ€rungsprozeß und einen Neuanfang in der CDU beschleunigen. Die 46-JĂ€hrige rief am 21. Dezember 1999 den damaligen Korrespondenten Karl Feldmeyer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) an und schlug ihm ein GesprĂ€ch vor. Am 22. Dezember 1999 erschien der Artikel Angela Merkels. Heute gilt er als das historische Dokument fĂŒr den von Merkel initiierten Bruch der CDU mit Helmut Kohl: „Die von Helmut Kohl eingerĂ€umten VorgĂ€nge haben der Partei Schaden zugefĂŒgt,“ schrieb sie. Die Partei mĂŒsse laufen lernen und „sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muß sich wie jemand in der PubertĂ€t von zu Hause lösen.“

WĂ€hrend innerparteiliche Konkurrenten schwiegen, nutzte Merkel den richtigen Augenblick, um sich in Szene zu setzen. Niemand außer ihr hatte den Mut und die UnabhĂ€ngigkeit, derartiges zu publizieren. Merkel ging ihr grĂ¶ĂŸtes politisches Risiko ein. Sie war tatsĂ€chlich „Freibeuterin“ und in gewisser Weise dadurch „MĂ€nnerleserin“. Hajo Schumacher setzt mit seiner trefflichen Terminologie am Beispiel vieler weiterer Begebenheiten neue MaßstĂ€be.

5.3 „BrĂŒckenbauerin“ (154ff.)

Schumacher schreibt ferner: „Wie ihr politischer Ziehvater regiert auch Angela Merkel per Telefon. Sonntags nach dem Mittagessen fĂ€ngt sie an, Vertraute und wichtige Parteimitglieder anzurufen. Vor Beginn des ‚Tatort‘ ist sie selten damit fertig. Sie ermittelt Stimmungen, organisiert Mehrheiten, droht und tobt.“ (80) Dieses Kapitel kann als eines der zentralen des Buches gelten, da die Szenen, in denen Schumacher die Kanzlerin beschreibt, einen bisher nie dagewesenen und humorvollen Einblick in ihre Wesensart bieten. Er offenbart, daß diese Frau neben risikobewußten Mauern auch strategische BrĂŒcken zu bauen in der Lage ist. „Die Zeit Kohls ist unwiederbringlich vorĂŒber“ lautete die Schlagzeile in der FAZ. Die SpendenaffĂ€re machte ihr auf diese Weise klar, wie wenig sie trotz acht Jahren Regierungs- und Parteiarbeit in das Machtzentrum vordrang. Im Fall der SpendenaffĂ€re war das ein Vorteil, und als solchen spielte sie ihre bisherige Randstellung aus – baute BrĂŒcken zu medialen Vermittlern und neuen personellen Strukturen in der Partei. Sie wußte tatsĂ€chlich die Freiheit, die ihr aus dem bestandenen Risiko erwuchs, zu nutzen. Ihr Amt und ihre politische Erfahrung hatten sie als Mensch – soziologische Studien erkannten dieses PhĂ€nomen bei Politikern bereits frĂŒher - verĂ€ndert. Merkel reprĂ€sentiere einen verbindenden „gesamtgesellschaftlichen Vermittlungsausschuss“ (154).

Schumacher betont in diesem Zusammenhang wiederum, daß Abenteuer und Freiheit die SehnsĂŒchte Merkels in der DDR gewesen seien. Der Westen habe ihr die demokratische Basis geboten, um dieses Streben schließlich auszuleben. Da ihr Vater 1954 als Pastor mit ihr in den sozialistischen und zugleich per definitionem atheistischen Teilstaat des Ostens ging, tat er dies – heute wenig bekannt - aus missionarischer Überzeugung. Merkels SehnsĂŒchte könnten damit tatsĂ€chlich ĂŒber die Jahre so gereift sein, wie es Schumacher beschreibt. Das politische VerstĂ€ndnis der jungen Angela Merkel beruhte – so auch Schumacher - nicht auf erlebter Erfahrung, sondern auf dem ertrĂ€umten Kontrast zwischen Ost und West. Diesen Kontrast verknĂŒpft Schumacher trefflich mit Merkles praktischer politischer Motivationslage und verortet hier u. a. ihr Streben nach verbindenden BrĂŒcken. Freiheit und Demokratie bargen fĂŒr sie das Potential zum BrĂŒckenbau zwischen Menschen. Nun reprĂ€sentiere sie selber die Einheit so vieler kontrĂ€rer sozialer Gruppen. (156) Schumacher bezieht sich immer wieder auf ihren biographischen Hintergrund und erklĂ€rt aus ihm das heutige Handeln der Kanzlerin. Dem reflektierenden Leser erscheint das sehr plausibel.

6. Bewertung und Kritik

„Gehe ins Offene“ – so habe ein guter Freund Merkels ihr einst ein Buch gewidmet. Das Buch von Hajo Schumacher suggeriert womöglich unbeabsichtigt aber erstaunlich komplementĂ€r, daß Merkel diese Forderung tatsĂ€chlich auslebte, wodurch sich ihr Drang danach, freiheitsbewußt, machtbewußt aber auch kĂŒhn zu agieren manifestierte. Schumachers Buch, welches entsprechende Beweise und Grundschemata des Verhaltens prĂ€sentiert und welches ferner interessante Interpretationen auf der Basis persönlicher Bekanntschaft mit der Kanzlerin darbietet, ist dadurch ausgesprochen lesenswert. Es zeigt, daß Merkels politischer Erfolg tatsĂ€chlich nicht zufĂ€llig ist und höchst unterschiedliche biographische und motivationale Facetten aufweist, die ĂŒber bloße Begriffe oder Meinungen seitens ihrer Kritiker kaum erfaßbar sind. Es bietet gleichsam einen interpretativen und hermeneutischen SchlĂŒssel zu der TĂŒr, hinter der sich das Wesen der Machtpolitik verbirgt, um zugleich damit den Aufstieg Angela Merkels als Physikerin zur Bundeskanzlerin vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verantwortungs- und auch Gesinnungsethik beispielhaft verstĂ€ndlich zu machen.

Ist der Titel „Die zwölf Gesetze der Macht“ zwar irrefĂŒhrend, da Schumacher diese an keiner Stelle expliziert, so spricht er dennoch kapitelweise in geradezu niezscheanischer Manier von Merkels Willen zur Macht und betont, daß sie mit Nietzsche sogar das protestantische Pfarrerelternhaus verbindet. (35) Ferner betont er ihre solide Ausbildung (92ff.), die Eroberung der Partei (53ff.) und ihr Frauennetzwerk (82ff.). Schumacher zeigt, daß Merkel weiß, wie man Risiken minimiert ohne sie ganz zu scheuen. (143ff.) Das ist eine erstaunliche Leistung, die sich zugleich durch zwei in diesem Buch vorhandene Ebenen als fruchtbar erweist: witzige Beschreibungen der Kanzlerin und ihrer Konkurrenten konvergieren mit sorgfĂ€ltigen politologischen Analysen. Freilich hinterlĂ€ĂŸt das beim Leser eine immanente Sympathie fĂŒr die Kanzlerin. Diese Sympathie gibt zu bedenken, ob der Autor nicht selbst dem von vielen Menschen verkannten Charme Merkels erlegen gewesen sein könnte. So bleiben auch einige womöglich dieser Haltung geschuldete WidersprĂŒche bei vollendeter LektĂŒre zurĂŒck. ZunĂ€chst nennt Schumacher die Vorsicht als die Machtstrategie Merkels. „Misserfolge vermeiden” (143) heiße ihre Grundmaxime. Hingegen ist das Kapitel ĂŒber die „Freibeuterin“ ein literarisches Stahlgewitter des Mutes: „Ich fĂŒrchte mich vor nichts!” (169) heißt es dort ĂŒber ihre „Piratenseele“ (169). Vielleicht ist es aber gerade in VerlĂ€ngerung des dialektischen Bildes die Koinzidenz des GegensĂ€tzlichen, die das Wesen Merkels ausmacht und die Schumacher freiweg artikulieren wollte. Das Ergebnis dieser Studie ĂŒber die deutsche Bundeskanzlerin kann sich jedenfalls sehen lassen. Es ist komplex, sperrig und in jedem Fall nicht Durchschnitt – wie das politische und menschliche Wesen der Kanzlerin selbst, was es bekanntlich fĂŒr sie schwermacht, von allen geliebt zu werden oder analog dazu fĂŒr das Buch Schumachers erschwert, jedem Leser kompromißlos zuzusagen.

Hinter Merkel – so bleibt zu bilanzieren - steckt eine ganz eigene Art zu denken, ein eigenes Prinzip - einerseits wissenschaftlich nĂŒchtern, andererseits mit viel GefĂŒhl, einerseits vorsichtig und andererseits mit ungehemmtem Risikobewußtsein. Im Sinne NiccolĂČ Machiavellis ist es ihr gelungen, aus der persönlichen vertĂș (Tugend) heraus die occasione (politische Gelegenheit) alltĂ€glich und entschieden beim Schopfe zu packen, um aus der SchwĂ€che eine strategische Überlegenheit erwachsen zu lassen. Das Bewahren und ansatzweise Wiederherstellen der GlaubwĂŒrdigkeit der CDU bis hinein in ihr eigentliches StammwĂ€hlerpotential bleibt eine besondere Herausforderung der Gegenwart. Angela Merkel hat sie fĂŒr sich gemeistert und sich damit einen Platz in der Galerie der berĂŒhmtesten deutschen Frauen gesichert. Es bleibt zu hoffen, daß ihr „Prinzip“ immer mehr zu demjenigen ihrer Partei wird.

geschrieben am 09.11.2006 | 2849 Wörter | 18069 Zeichen

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