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Krachkultur 14


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Krachkultur 14 »Menschen, die immer klug handeln, klug reden, ihre Klugheit sich und der Welt beweisen, wirken auf die Dauer langweilig«, schrieb der Wiener Nervenarzt Wilhelm Stekel (1868-1940). Sein Werk sei heute »leider komplett vergessen«, meint der Münchner Schriftsteller Martin Brinkmann und lässt aus diesem Grund um ihn herum die neue Ausgabe 14 der von ihm zusammen mit Fabian Reimann herausgegebenen Literaturzeitschrift Krachkultur ranken. Aber lauschen wir weiter Stekel: »Sie langweilen sich selbst. Ihr Leben geht die genau vorgeschriebenen Bahnen, die zu verlassen sie sich sorgfältig hüten. Es sind Menschen, die ihren geradlinig vorgezeichneten Lebensplan einhalten, ihre einmal gesteckten Ziele mit eiserner, unerschütterlicher Energie erstreben, immer nur an das Ende denken, und die sich vor jeder Dummheit fürchten, welche sie von diesem markierten Wege abbringen könnte.« Martin Brinkmann will uns diesen Ausnahme-Psychologen ins Bewusstsein zurückholen. In »Der Apostel Freuds«, schreibt der 1976 in Bremerhaven Geborene larmoyant, man begeistere sich bisweilen für einen Denker, der von der Fachwelt nicht sonderlich geschätzt wird. Wilhelm Stekel, der so vielsagende psychoanalytische Fachbücher verfasste wie Onanie und Homosexualität (1921) oder Psychosexueller Infantilismus (1922), habe dabei die Forschung bezüglich der Neurosen von Schriftstellern maßgeblich erweitert. Wäre sein Lehrmeister und einstiger Weggefährte Freud bei der Analyse dieses Kontextes bei den Verfassern von Trivialliteratur stehen geblieben, hätte Stekel die Neurose als die eigentliche Triebfeder dichterischen Schaffens gesehen. Die in Austin lebende Mary Miller (geboren 1977) steuert der Krachkultur 14 zwei kurze Texte bei, surreale Kontemplationen, sprachmächtig, Tagträume einer jungen Frau zwischen sexueller Begierde und bewusster Reflektion. So lesenswert wie alles andere in dieser wieder einmal äußerst gelungenen Literaturzeitschrift. Frank Hertel, geboren 1971, publiziert den Anfang seines neuen Romans, an dem er gerade arbeitet. Das ist mutig; kaum ein Autor lässt sich ja gern in die Karten gucken. »Susi vom Mars« ist die Bestätigung, dass die Krachkulturisten auch nicht vor Trashigem zurückschrecken, wenn es denn gut ist. Es ist die Erzählung eines 40-jährigen Singles, der sich an einem - bis dahin gewöhnlich verlaufenden Samstag - eine Zigarette anzünden will. Doch diesmal kommt aus der Zigarette eine 1,80 Meter große, rothaarige Schönheit. Nackt. Sie führt zu allerlei Verwicklungen im Leben des Durchschnittsbürgers, die hier nicht verraten seien. Nur soviel: Die Story ist fesselnd und unterhaltsam. Der Rezensent war enttäuscht, als sie in der Krachkultur endete. Wir erwarten gespannt den ganzen Roman. Die Photos der Serie »Das Heft Deutschland 5« von Matthias Zielfeld sind eine ästhetische Abrundung. Sie ergänzen und erweitern das gedruckte Wort und zeigen uns, in welchen Städten wir leben. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen erinnern an Wolf-Jobst Siedlers grandioses Photobuch Die gemordete Stadt von 1964. Der Publizist hatte seinem »Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum« folgende Widmung vorangestellt: »Für Emma Nimptsch, meine Putzfrau, die nach sechsunddreißig Jahren in einem Moabiter Hinterhaus soeben in eine durchgrünte Stadtrandsiedlung gezogen ist.« Leben wir nicht mitten im architektonischen Trash? Wer sich für eher ungewöhnliche, abseitige und dabei niveauvolle Literatur (das Wort modern vermeiden wir hier mal besser) interessiert, sollte sich sputen: Erfahrungsgemäß ist die Krachkultur bei Zeiten ausverkauft.

»Menschen, die immer klug handeln, klug reden, ihre Klugheit sich und der Welt beweisen, wirken auf die Dauer langweilig«, schrieb der Wiener Nervenarzt Wilhelm Stekel (1868-1940). Sein Werk sei heute »leider komplett vergessen«, meint der Münchner Schriftsteller Martin Brinkmann und lässt aus diesem Grund um ihn herum die neue Ausgabe 14 der von ihm zusammen mit Fabian Reimann herausgegebenen Literaturzeitschrift Krachkultur ranken. Aber lauschen wir weiter Stekel:

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»Sie langweilen sich selbst. Ihr Leben geht die genau vorgeschriebenen Bahnen, die zu verlassen sie sich sorgfältig hüten. Es sind Menschen, die ihren geradlinig vorgezeichneten Lebensplan einhalten, ihre einmal gesteckten Ziele mit eiserner, unerschütterlicher Energie erstreben, immer nur an das Ende denken, und die sich vor jeder Dummheit fürchten, welche sie von diesem markierten Wege abbringen könnte.«

Martin Brinkmann will uns diesen Ausnahme-Psychologen ins Bewusstsein zurückholen. In »Der Apostel Freuds«, schreibt der 1976 in Bremerhaven Geborene larmoyant, man begeistere sich bisweilen für einen Denker, der von der Fachwelt nicht sonderlich geschätzt wird. Wilhelm Stekel, der so vielsagende psychoanalytische Fachbücher verfasste wie Onanie und Homosexualität (1921) oder Psychosexueller Infantilismus (1922), habe dabei die Forschung bezüglich der Neurosen von Schriftstellern maßgeblich erweitert. Wäre sein Lehrmeister und einstiger Weggefährte Freud bei der Analyse dieses Kontextes bei den Verfassern von Trivialliteratur stehen geblieben, hätte Stekel die Neurose als die eigentliche Triebfeder dichterischen Schaffens gesehen.

Die in Austin lebende Mary Miller (geboren 1977) steuert der Krachkultur 14 zwei kurze Texte bei, surreale Kontemplationen, sprachmächtig, Tagträume einer jungen Frau zwischen sexueller Begierde und bewusster Reflektion. So lesenswert wie alles andere in dieser wieder einmal äußerst gelungenen Literaturzeitschrift.

Frank Hertel, geboren 1971, publiziert den Anfang seines neuen Romans, an dem er gerade arbeitet. Das ist mutig; kaum ein Autor lässt sich ja gern in die Karten gucken. »Susi vom Mars« ist die Bestätigung, dass die Krachkulturisten auch nicht vor Trashigem zurückschrecken, wenn es denn gut ist. Es ist die Erzählung eines 40-jährigen Singles, der sich an einem - bis dahin gewöhnlich verlaufenden Samstag - eine Zigarette anzünden will. Doch diesmal kommt aus der Zigarette eine 1,80 Meter große, rothaarige Schönheit. Nackt. Sie führt zu allerlei Verwicklungen im Leben des Durchschnittsbürgers, die hier nicht verraten seien. Nur soviel: Die Story ist fesselnd und unterhaltsam. Der Rezensent war enttäuscht, als sie in der Krachkultur endete. Wir erwarten gespannt den ganzen Roman.

Die Photos der Serie »Das Heft Deutschland 5« von Matthias Zielfeld sind eine ästhetische Abrundung. Sie ergänzen und erweitern das gedruckte Wort und zeigen uns, in welchen Städten wir leben. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen erinnern an Wolf-Jobst Siedlers grandioses Photobuch Die gemordete Stadt von 1964. Der Publizist hatte seinem »Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum« folgende Widmung vorangestellt: »Für Emma Nimptsch, meine Putzfrau, die nach sechsunddreißig Jahren in einem Moabiter Hinterhaus soeben in eine durchgrünte Stadtrandsiedlung gezogen ist.« Leben wir nicht mitten im architektonischen Trash?

Wer sich für eher ungewöhnliche, abseitige und dabei niveauvolle Literatur (das Wort modern vermeiden wir hier mal besser) interessiert, sollte sich sputen: Erfahrungsgemäß ist die Krachkultur bei Zeiten ausverkauft.

geschrieben am 22.04.2012 | 491 Wörter | 3067 Zeichen

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