ISBN | 3412369055 | |
Autor | Rainer Liedtke | |
Verlag | Böhlau | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 271 | |
Erscheinungsjahr | 2006 | |
Extras | - |
Wer sich heute ĂŒber MĂ€rkte und Preise informieren möchte, fĂŒr den reicht ein Blick ins Internet. In Echtzeit kann man die Kurse an den groĂen BörsenplĂ€tzen beobachten und Informationen aus Politik und Wirtschaft gehen mit der Geschwindigkeit eines elektrischen Impulses um die Welt. Das war nicht immer so. Vor dem modernen Kommunikationszeitalter konnte es Tage mit unter Wochen dauern bis das Wissen ĂŒber ein Ereignis, das den Finanzmarkt beeinflussen konnte, die interessierten EmpfĂ€nger erreichte. Wer zu erst vom Ausgang einer Schlacht, dem Tod eines Monarchen oder dem Ausbruch einer Revolte oder auch nur die ĂŒblichen Preisschwankungen eines Gutes auf einem auslĂ€ndischen Markt erfuhr, konnte seine Gewinne erhebliche Maximieren. Zu diesem Zweck errichteten die Rothschilds, jene berĂŒhmte und bedeutendste jĂŒdische Bankiersfamilie des 19. Jahrhunderts, ein umfassendes Netzwerk von Informanten und Kommunikationswegen, die ihnen einen Informationsvorsprung gegenĂŒber den Zeitungen, ja sogar gegenĂŒber den Regierungen verschaffen konnte.
Rainer Liedtke beschreibt diese Kommunikationswege anhand der Quellen des Rothschild-Archivs und mit dem theoretischen Ansatz der Netzwerkanalyse. Die Rothschilds hatten ein Netzwerk von Agenten, die sie regelmĂ€Ăig ĂŒber Börsendaten und politische Ereignisse unterrichteten. Die ersten dokumentierten Kontakte zu Agenten ergaben sich aus der Kontinentalsperre wĂ€hrend der napoleonischen Kriege. In der ersten HĂ€lfte der 20er Jahre des 19 Jahrhunderts vergröĂerte sich das Agentennetzwerk âexplosionsartig.â Waren zu erst hauptsĂ€chlich Familienmitglieder die Hauptpartner der geschĂ€ftlichen Korrespondenz, nahmen in den RĂ€umen, in denen keine Rothschilds zu gegen waren, die professionellen Agenten und GeschĂ€ftspartner ihren Platz ein. SchlieĂlich reichte ihr Netzwerk sogar bis nach Ăbersee. Mit dem Auftreten moderner Kommunikationsmittel wie dem elektrischen Telegrafen nahm die Zahl der Agenten wieder ab. Lidtke kommt zu der EinschĂ€tzung, dass die Rothschilds zwar ĂŒber eine hohe Dichte und Frequenz von Informationen und InformationszutrĂ€gern verfĂŒgten, das ihre Kommunikationsnetzwerk aber nicht als autark bezeichnet werden kann und nicht jene ĂŒberlegene Informationsbasis darstellte, die oft in der Literatur unterstellt worden sei.
Der wichtigste Agent der Rothschilds war Gerson von Bleichröder, Bismarcks persönlicher Berater, wenn es um die Finanzen ging. Bleichröders Bankhaus gehörte zum so genannten âPreuĂen-Konsortiumâ, einem informellen Verband von deutschen BankhĂ€usern, die sich um das GeschĂ€ft mit preuĂischen Staatsanleihen kĂŒmmerte. Bleichröder gehörte zu den reichsten MĂ€nnern Deutschlands, begegnete aber den Rothschilds immer aus einer untergeordneten Position, denn ihnen verdankte er den Kontakt zu Bismarck und seinen fulminanten Aufstieg. Liedtke hat fĂŒr sein Buch die umfangreiche Korrespondenz zwischen Bleichröder und den Rothschilds aufgearbeitet. Bleichröder war fĂŒr die Rothschild besonders in geopolitischen Krisenzeiten wie dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, der Balkankrise 1975 bis 1978 und dem Berliner Kongress von 1878 von herausgehobener Bedeutung, da er Informationen aus dem engen Zirkel der Macht beschaffen konnte, wobei ihn Bismarck auch als Sprachrohr in seinem Interesse verwendete.
Das Buch ist keine der ĂŒblichen Familiengeschichten, sondern konzentriert sich auf den Aspekt der Kommunikation. Es richtet sich daher vor allem an wissenschaftlich interessierte Leser und nicht so sehr an ein eher allgemein an den Rothschilds interessiertes Publikum. Zu erwĂ€hnen sind, die Genauigkeit mit der die Kommunikationswege beschrieben werden und die ErschlieĂung der bislang nicht veröffentlichten Quellen. Das Buch bietet interessante ErgĂ€nzungen zu Fritz Sterns Bleichröder-Biographie âGold und Eisen.â Das Buch ist auĂerdem ein weiterer Titel, die die Brauchbarkeit der AnsĂ€tze der Netzwerk-Analyse unter Beweis stellt.
geschrieben am 05.02.2007 | 522 Wörter | 3471 Zeichen
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