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Ethnograph des dunklen Berlin – Hans Ostwald und die »Großstadt-Dokumente«


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Rezension von

Max Bloch

Ethnograph des dunklen Berlin – Hans Ostwald und die »Großstadt-Dokumente« Mit seiner Studie über den „Ethnographen des dunklen Berlin“, den Landstreicher, Bohemien, Sozialschriftsteller und Kolporteur Hans Ostwald (1873-1940), hat Ralf Thies seine jahrelangen stadthistorischen Forschungen in einem Buch zusammengeführt, das das geistige Panorama Berlins an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erleb- und greifbar macht. Mit seinen „Großstadt-Dokumenten“, auf die sich die Studie schwerpunktmäßig bezieht, hat Ostwald eigenem Bekunden zufolge nichts anderes versucht, als „den Menschen dem andern nahezubringen“. Mit dieser bemerkenswerten Auswahl kritischer Texte zur Moderne, die, ganz ohne Vorbilder, einen unmittelbaren und ungeschminkten Einblick in das Leben des „dunklen Berlin“ ermöglichen wollte, machten er und seine Autoren sich zu Stenographen des Fortschritts, zu Anwälten derer, die durch das Raster gefallen waren und keine Stimme hatten. Mit der Herausgabe dieser sozialdokumentarischen Schriften etablierte sich Ostwald als „Ethnograph des dunklen Berlin“, der seine Streifzüge durch die Hinterhöfe und Kaschemmen, seine Gespräche mit den Opfern einer unverstandenen Moderne mit wissenschaftlichem Anspruch unternahm und führte. Ostwalds Verhängnis war, dass sich dieser aufklärerische Gestus mit reißerischem Geschäftssinn paarte. Thies spricht in diesem Zusammenhang von einer „schillernden Mischung aus politischem Engagement, Sendungsbewusstsein, Machtstreben und Eitelkeit“, die ihn dem nicht ganz unbegründeten Verdacht des politischen Opportunismus aussetzte. Wie er den Ersten Weltkrieg als Ausweg aus einer verworrenen Moderne begrüßte, so begegnete er der Revolution nicht minder emphatisch, und die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten bewegte ihn wiederum zu flammenden Loyalitätsbekundungen. Hans Ostwalds sicherlich ernsthaftes Eintreten für die sozialen „underdogs“ stieß dort an seine Grenzen, wo politische Urteilskraft, nüchternes Abwägen und kühles Rechnen gefragt waren. So wurde der ehedem als pornographisch verschriene Sittenschilderer mit der Zeit zum gefragten Berlin-Folkloristen und suchte das langjährige SPD-Mitglied (er war 1919 der Partei beigetreten) nach 1933 in der Propagierung der nationalsozialistischen Siedlungspolitik bruchlos sein Heil. Nichtsdestotrotz ist er, der durch seine populären Zillebücher, seinen „Urberliner“ und seine „Kultur- und Sittengeschichte Berlins“ Massenwirksamkeit erreichte, vor allem durch seine integrative Kraft, als Mittelpunkt eines illustren Kreises, eben der „Dokumente“-Autoren, der Erinnerung wert. Dem Kreis um Hans Ostwald widmet Thies daher großen Raum. Hier trafen verkrachte Künstlerexistenzen, philosophische Schwärmer, ambitionierte Journalisten und sozialbewegte Politiker zusammen, die sich dem Dienst am sozialen Aufbau verpflichtet fühlten. Die Geschichte dieses Kreises, bleibende Verbindungen und jähe Zerwürfnisse, werden von Thies mit knappen Strichen derart eindringlich gezeichnet, dass man den Geist der Zeit gleichsam atmen kann. Die Bedenkenlosigkeit, mit der Ostwald nach 1933 seine jüdischen Weggefährten und Freunde preisgab, gehört freilich zu den wenig berückenden Eigenschaften dieser schillernden Persönlichkeit, deren Leben von Thies spannend erzählt, kritisch gewürdigt und in die neueste Metropolen- und Moderneforschung eingebettet wird. Ein fortan unverzichtbarer Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Mit seiner Studie über den „Ethnographen des dunklen Berlin“, den Landstreicher, Bohemien, Sozialschriftsteller und Kolporteur Hans Ostwald (1873-1940), hat Ralf Thies seine jahrelangen stadthistorischen Forschungen in einem Buch zusammengeführt, das das geistige Panorama Berlins an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erleb- und greifbar macht. Mit seinen „Großstadt-Dokumenten“, auf die sich die Studie schwerpunktmäßig bezieht, hat Ostwald eigenem Bekunden zufolge nichts anderes versucht, als „den Menschen dem andern nahezubringen“. Mit dieser bemerkenswerten Auswahl kritischer Texte zur Moderne, die, ganz ohne Vorbilder, einen unmittelbaren und ungeschminkten Einblick in das Leben des „dunklen Berlin“ ermöglichen wollte, machten er und seine Autoren sich zu Stenographen des Fortschritts, zu Anwälten derer, die durch das Raster gefallen waren und keine Stimme hatten. Mit der Herausgabe dieser sozialdokumentarischen Schriften etablierte sich Ostwald als „Ethnograph des dunklen Berlin“, der seine Streifzüge durch die Hinterhöfe und Kaschemmen, seine Gespräche mit den Opfern einer unverstandenen Moderne mit wissenschaftlichem Anspruch unternahm und führte.

Ostwalds Verhängnis war, dass sich dieser aufklärerische Gestus mit reißerischem Geschäftssinn paarte. Thies spricht in diesem Zusammenhang von einer „schillernden Mischung aus politischem Engagement, Sendungsbewusstsein, Machtstreben und Eitelkeit“, die ihn dem nicht ganz unbegründeten Verdacht des politischen Opportunismus aussetzte. Wie er den Ersten Weltkrieg als Ausweg aus einer verworrenen Moderne begrüßte, so begegnete er der Revolution nicht minder emphatisch, und die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten bewegte ihn wiederum zu flammenden Loyalitätsbekundungen. Hans Ostwalds sicherlich ernsthaftes Eintreten für die sozialen „underdogs“ stieß dort an seine Grenzen, wo politische Urteilskraft, nüchternes Abwägen und kühles Rechnen gefragt waren. So wurde der ehedem als pornographisch verschriene Sittenschilderer mit der Zeit zum gefragten Berlin-Folkloristen und suchte das langjährige SPD-Mitglied (er war 1919 der Partei beigetreten) nach 1933 in der Propagierung der nationalsozialistischen Siedlungspolitik bruchlos sein Heil.

Nichtsdestotrotz ist er, der durch seine populären Zillebücher, seinen „Urberliner“ und seine „Kultur- und Sittengeschichte Berlins“ Massenwirksamkeit erreichte, vor allem durch seine integrative Kraft, als Mittelpunkt eines illustren Kreises, eben der „Dokumente“-Autoren, der Erinnerung wert. Dem Kreis um Hans Ostwald widmet Thies daher großen Raum. Hier trafen verkrachte Künstlerexistenzen, philosophische Schwärmer, ambitionierte Journalisten und sozialbewegte Politiker zusammen, die sich dem Dienst am sozialen Aufbau verpflichtet fühlten. Die Geschichte dieses Kreises, bleibende Verbindungen und jähe Zerwürfnisse, werden von Thies mit knappen Strichen derart eindringlich gezeichnet, dass man den Geist der Zeit gleichsam atmen kann. Die Bedenkenlosigkeit, mit der Ostwald nach 1933 seine jüdischen Weggefährten und Freunde preisgab, gehört freilich zu den wenig berückenden Eigenschaften dieser schillernden Persönlichkeit, deren Leben von Thies spannend erzählt, kritisch gewürdigt und in die neueste Metropolen- und Moderneforschung eingebettet wird. Ein fortan unverzichtbarer Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

geschrieben am 15.11.2007 | 426 Wörter | 3035 Zeichen

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