ISBN | 3412172057 | |
Autoren | André Brodocz , Christoph O. Mayer , Rene Pfeilschifter | |
Verlag | Böhlau | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 500 | |
Erscheinungsjahr | 2005 | |
Extras | - |
Die Frage der PhĂ€nomenologie der Macht wird an Bedeutung gewinnen. In Zeiten politischer Krisen und arbeitsmarktpolitischer Rezession wird das Problem von Ursprung und Leitidee der politischen Macht und StaatsrĂ€son gewichtig. BehĂ€lt ein formalistischer Indifferentismus die Oberhand und schwindet das Vertrauen in die politische FĂŒhrung, weil diese die Integration der Regierten nicht mehr zu gewĂ€hrleisten befĂ€higt ist, so liegt die Frage nach fundamentalen Alternativen und die des Behauptens und Bestreitens von institutioneller Macht auf der Hand.
Das vorliegende Buch des Teams eines entsprechenden Sonderforschungsbereiches der TU Dresden hat in einem voluminösen Werk mit zahlreichen BeitrĂ€gen diese Fragen anhand spezifischer Beispiele beleuchtet. Man stellt fest, daĂ sich Macht ĂŒber eine implementierte normative Dimension von Sprache und politischem Selbstbild behauptet. Macht stĂŒtzt sich auf die permanente Wiederkehr herrschaftsaffirmativer und oftmals wenig reflektierter Begriffe unter dem Gewand der vermeintlichen Reflexion, d.h. dem Gewand dessen, die eigentliche Alternative zu sein. Nur ist ein solches Verhalten, etwa der Pauschalvorwurf "Extremismus" selbst das Gegenteil einer jeden sinnvollen politischen Reflexion. DaĂ sich dennoch dieses unreflektierte Selbstbild von Staaten - auch entgegen gewissen neuen AnsprĂŒchen sich verĂ€ndernder Vorstellungen im dynamischen Wechsel der Generationen - permanent und monoton zu reproduzieren versucht, liegt auf der Hand und ist historisch immer wieder nachvollziehbar. Ob das einer âidentitĂ€tsstiftendenâStandardisierung dient oder vielmehr, wie in der deutschen Nachkriegsdemokratie nach 1945 geschehen, prĂ€skriptive Regeln zur Relativierung konkreter und vorausgehender IdentitĂ€t einfĂŒhrt, sei dahingestellt. Institutionelle Ordnungen jedenfalls sind konstitutiv darauf angewiesen, Geltung aus sich heraus zu erzeugen, um nicht tautologisch allein durch die FaktizitĂ€t ihres Bestehens zu gelten.
Auf eine phĂ€nomenologische Lageanalyse, wie sie der Politologe Hans-Joachim Arndt entwarf und forderte, wurde nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR kaum RĂŒcksicht genommen.
Das und noch vieles mehr aus anderen Lebensbereichen, etwa der standardisierten Machtverteilung im Eheleben, macht diesen Sammelband erstaunlich lesenswert. Der politologische Denker erwartet selbstverstĂ€ndlich einen Rekurs auf die Institutionenlehre Arnold Gehlens. Dieser erfolgt leider nur punktuell. An der einzigen Stelle mit dezidiertem Rekurs auf Gehlen wird greifbar, daĂ historisch gesehen oft der Glaube an die Alternativlosigkeit von Institutionen erzeugt wurde - wie in der DDR. Sehr spannend ist hier die wertfreie Rezeption Gehlens am Beispiel des âantifaschistischenâ Legitimationskonstrukts der DDR. Man darf auf eine ebensolche wertfreie Exegese im Zuge der in der Bundesrepublik expandierenden "herrschaftsfreien" RigiditĂ€t des âAntifaschismusâ hoffen. Das Buch erscheint zur richtigen Zeit. Der Leser erkennt nunmehr: Die StaatsrĂ€son eines Landes trĂ€gt in sich immer und notwendig die PotentialitĂ€t des Auch-Anders-Sein-Könnens - wenn es Wille und Umstand auch entgegen den scheinbaren Dominanzstrukturen der herrschenden Ideologie erforderlich machen.
geschrieben am 23.11.2006 | 413 Wörter | 2852 Zeichen
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