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Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie


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Rezension von

Daniel Bigalke

Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie Angesichts einer zunehmenden Standardisierung der Verhaltensweisen, einer Verdrängung transzendenzbezogener Lebensweisen und der Erschleichung sozialer Bindung durch strenge staatliche Bürokratien, was letztendlich die Reduktion des Individuums-außerhalb-der-Welt zum immer nur suchenden Individuum-in-der-Welt hervorbrachte, ist es nur eine Frage der Zeit, daß sich alternative Lebensentwürfe entwickeln. Die Auseinandersetzung mit diesem Zustand moderner Gesellschaften absolvierte Karl Jaspers (1883-1969) mit seinem Ausdruck „Apparat“, José Ortega y Gasset (1883-1955) mit dem Begriff der „Massengesellschaft“ oder Arnold Toynbee (1889-1975) mit dem Terminus „ununterscheidbarer Zustand“. Spengler nannte dieses Stadium der Kultur „Zivilisation“. Es gibt keine dem System und den in es eingepaßten Menschen vorausgehende Gültigkeitsbasis mehr. Es fehlen, mit Arnold Gehlen zu reden, die haltgebenden Prinzipien, die der Gefahr ausgeliefert sind, „auf jenes Minimum an Außenbestätigung verzichten zu müssen, ohne daß er [der Mensch, d. Verf.] auf die Dauer nicht leben kann.“ Es ist das Industriesystem in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - ein System aus zweiter Hand, dessen naturwissenschaftlich-mechanistisches Denken die Verantwortung für diese dialektische Reduzierung von Kultur zu tragen scheint. Der soziale Typus des Dandys war der individuelle Versuch Einzelner, durch ihre oppositionelle Lebensweise in Kombination mit einem betriebenen Selbstkult jene Verwerfungen der Außenwelt zu überwinden, um in ihr würdig zu leben. In der umfangreichen Literatur zum Dandyismus gibt es wenige Texte, die bis heute die Definitionsgrundlage bilden. Der wichtigste zur Theorie des Dandyismus ist das Unterkapitel Der Dandy in der Studie über den Maler Constantin Guys, die Charles Baudelaire 1863 verfasst hat. Bis heute unübertroffen ist Der moderne Dandy. Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts von Otto Mann, der damit 1924 bei Karl Jaspers promovierte. Auch hier zeigt sich Jaspers Sensibilität für Fragen der aristokratischen Großmütigkeit in Phasen der „décadence“. Das nun im Böhlau-Verlag vorliegende Werk von Melanie Grundmann vereinigt zum ersten Mal übersichtlich und gut lesbar originale Kerntexte zum Thema „Dandyismus“. Dazu zählen das „Tagebuch eines modernen Dandy“ von 1818, verfaßt im England unter George IV. Weiterhin findet der Leser die Analyse „Der Mann von Welt“ (1815) aus Frankreich, wo über den Schriftsteller Stendhal alternierende Formen dandyistischer Lebenskunst auftraten. So differiert beispielsweise der „Mann von Welt“ vom zurückgezogenen Dandy durch seine Position „an vorderster Stelle aller Verrückten“. Seine offensive und nicht zurückgezogene Haltung zeigt, wie sehr sich ein sozialer Typus auch von verschiedenen sozialen und nationalen Umfeldern beeinflussen läßt und seine Haltung verändert. Anhand der Texte wird deutlich, daß es gleichsam eine von Land zu Land sowie Zeit zu Zeit differierende Phänomenologie des dandyistischen Lebenskultes gibt. Diese hätte man zwar in der Einleitung zum Buch tiefgründiger benennen können, sie erschließt sich aber ansatzweise bei der Lektüre der Originaltexte beim aufmerksamen Lesen von selbst. Generell wird in fast jedem Beitrag deutlich, daß der Dandy in einer Reihe von Sozialcharakteren hauptsächlich des 19. Jahrhunderts steht, die den Utilitarismus der sich industrialisierenden und verbürgerlichenden Gesellschaft ablehnten. Seine intellektuellen Bundesgenossen sind vor allen der Bohème und der Flaneur. Mehr und mehr erschließen sich über die Kapitel hinweg trotz variierender Grundmotive bei berühmten Dandys seine doch prägnanten Grundeigenschaften: Perfekte Selbstbeherrschung; Kampf mit der Gesellschaft; Kampf gegen die unästhetische Gegenwart; der Versuch, die eigene Anmut zu verkleiden und zu inszenieren, um bemerkt zu werden. Zugleich aber drängt sich immer wieder die stoische Gelassenheit des nil admirari, in den Mittelpunkt, welche oft nur heroisch-oppositionelle Ausnahmemenschen aufzubringen in der Lage sind. Die bewaffnete Neutralität des Dandys beschreibt die Herausgeberin in ihrer kulturgeschichtlich dennoch gelungenen Einleitung trefflich: „Er vermischt sein distanziertes Auftreten so taktvoll mit Höflichkeit, dass sie an Ersterem nichts aussetzen können und Letzteres nicht zu fassen bekommen.“ Wer dies nicht schafft, gerät zum Snob. Dieser Typus ist nicht zum Dandy geboren, möchte aber einer sein. Der Snob ist unvollendeter Nachahmer im Gewandt lächerlicher Eitelkeit – wie auch die Snobs Nietzsches, Churchills, Spenglers etc. Sie haben eben nicht formvollendet zu leben gelernt, was die Herausgeberin Grundmann als konstitutives Merkmal des Dandys hingegen ausmacht: „Der Dandy ist ein überlegener Geist, ein Genie, unerwünscht in einer Gesellschaft, in der die Masse beherrschbar bleiben soll“. Das Buch ergänzt die Lektüre sinnvoll durch chronologisch enthaltene Bilder, auf denen der englische Maler Christopher Clark (1875-1942) das optisch Spezifische am jeweiligen Typus von Dandy, von politisch Apathischem und vom im Zeitalter der „décadence“ lebenden Außenseitertum in Abbildungen zu fassen versucht. Die politische Apathie der Unpolitischen ist Konsequenz der in diesem Buch beschrieben und überhaupt jeder wiederkehrenden Zeit des Umbruchs. Sie ist Symbol einer real existenten und im Menschen reaktiv lebenden Modifikation von Verfall. – Der Mensch findet eben immer wieder neue Formen, um in der „diaphtora“ würdig leben zu können.

Angesichts einer zunehmenden Standardisierung der Verhaltensweisen, einer Verdrängung transzendenzbezogener Lebensweisen und der Erschleichung sozialer Bindung durch strenge staatliche Bürokratien, was letztendlich die Reduktion des Individuums-außerhalb-der-Welt zum immer nur suchenden Individuum-in-der-Welt hervorbrachte, ist es nur eine Frage der Zeit, daß sich alternative Lebensentwürfe entwickeln. Die Auseinandersetzung mit diesem Zustand moderner Gesellschaften absolvierte Karl Jaspers (1883-1969) mit seinem Ausdruck „Apparat“, José Ortega y Gasset (1883-1955) mit dem Begriff der „Massengesellschaft“ oder Arnold Toynbee (1889-1975) mit dem Terminus „ununterscheidbarer Zustand“. Spengler nannte dieses Stadium der Kultur „Zivilisation“. Es gibt keine dem System und den in es eingepaßten Menschen vorausgehende Gültigkeitsbasis mehr. Es fehlen, mit Arnold Gehlen zu reden, die haltgebenden Prinzipien, die der Gefahr ausgeliefert sind, „auf jenes Minimum an Außenbestätigung verzichten zu müssen, ohne daß er [der Mensch, d. Verf.] auf die Dauer nicht leben kann.“ Es ist das Industriesystem in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - ein System aus zweiter Hand, dessen naturwissenschaftlich-mechanistisches Denken die Verantwortung für diese dialektische Reduzierung von Kultur zu tragen scheint.

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Der soziale Typus des Dandys war der individuelle Versuch Einzelner, durch ihre oppositionelle Lebensweise in Kombination mit einem betriebenen Selbstkult jene Verwerfungen der Außenwelt zu überwinden, um in ihr würdig zu leben. In der umfangreichen Literatur zum Dandyismus gibt es wenige Texte, die bis heute die Definitionsgrundlage bilden. Der wichtigste zur Theorie des Dandyismus ist das Unterkapitel Der Dandy in der Studie über den Maler Constantin Guys, die Charles Baudelaire 1863 verfasst hat. Bis heute unübertroffen ist Der moderne Dandy. Ein Kulturproblem des 19. Jahrhunderts von Otto Mann, der damit 1924 bei Karl Jaspers promovierte. Auch hier zeigt sich Jaspers Sensibilität für Fragen der aristokratischen Großmütigkeit in Phasen der „décadence“.

Das nun im Böhlau-Verlag vorliegende Werk von Melanie Grundmann vereinigt zum ersten Mal übersichtlich und gut lesbar originale Kerntexte zum Thema „Dandyismus“. Dazu zählen das „Tagebuch eines modernen Dandy“ von 1818, verfaßt im England unter George IV. Weiterhin findet der Leser die Analyse „Der Mann von Welt“ (1815) aus Frankreich, wo über den Schriftsteller Stendhal alternierende Formen dandyistischer Lebenskunst auftraten. So differiert beispielsweise der „Mann von Welt“ vom zurückgezogenen Dandy durch seine Position „an vorderster Stelle aller Verrückten“. Seine offensive und nicht zurückgezogene Haltung zeigt, wie sehr sich ein sozialer Typus auch von verschiedenen sozialen und nationalen Umfeldern beeinflussen läßt und seine Haltung verändert. Anhand der Texte wird deutlich, daß es gleichsam eine von Land zu Land sowie Zeit zu Zeit differierende Phänomenologie des dandyistischen Lebenskultes gibt. Diese hätte man zwar in der Einleitung zum Buch tiefgründiger benennen können, sie erschließt sich aber ansatzweise bei der Lektüre der Originaltexte beim aufmerksamen Lesen von selbst.

Generell wird in fast jedem Beitrag deutlich, daß der Dandy in einer Reihe von Sozialcharakteren hauptsächlich des 19. Jahrhunderts steht, die den Utilitarismus der sich industrialisierenden und verbürgerlichenden Gesellschaft ablehnten. Seine intellektuellen Bundesgenossen sind vor allen der Bohème und der Flaneur. Mehr und mehr erschließen sich über die Kapitel hinweg trotz variierender Grundmotive bei berühmten Dandys seine doch prägnanten Grundeigenschaften: Perfekte Selbstbeherrschung; Kampf mit der Gesellschaft; Kampf gegen die unästhetische Gegenwart; der Versuch, die eigene Anmut zu verkleiden und zu inszenieren, um bemerkt zu werden. Zugleich aber drängt sich immer wieder die stoische Gelassenheit des nil admirari, in den Mittelpunkt, welche oft nur heroisch-oppositionelle Ausnahmemenschen aufzubringen in der Lage sind.

Die bewaffnete Neutralität des Dandys beschreibt die Herausgeberin in ihrer kulturgeschichtlich dennoch gelungenen Einleitung trefflich: „Er vermischt sein distanziertes Auftreten so taktvoll mit Höflichkeit, dass sie an Ersterem nichts aussetzen können und Letzteres nicht zu fassen bekommen.“ Wer dies nicht schafft, gerät zum Snob. Dieser Typus ist nicht zum Dandy geboren, möchte aber einer sein. Der Snob ist unvollendeter Nachahmer im Gewandt lächerlicher Eitelkeit – wie auch die Snobs Nietzsches, Churchills, Spenglers etc. Sie haben eben nicht formvollendet zu leben gelernt, was die Herausgeberin Grundmann als konstitutives Merkmal des Dandys hingegen ausmacht: „Der Dandy ist ein überlegener Geist, ein Genie, unerwünscht in einer Gesellschaft, in der die Masse beherrschbar bleiben soll“.

Das Buch ergänzt die Lektüre sinnvoll durch chronologisch enthaltene Bilder, auf denen der englische Maler Christopher Clark (1875-1942) das optisch Spezifische am jeweiligen Typus von Dandy, von politisch Apathischem und vom im Zeitalter der „décadence“ lebenden Außenseitertum in Abbildungen zu fassen versucht. Die politische Apathie der Unpolitischen ist Konsequenz der in diesem Buch beschrieben und überhaupt jeder wiederkehrenden Zeit des Umbruchs. Sie ist Symbol einer real existenten und im Menschen reaktiv lebenden Modifikation von Verfall. – Der Mensch findet eben immer wieder neue Formen, um in der „diaphtora“ würdig leben zu können.

geschrieben am 19.09.2007 | 741 Wörter | 4863 Zeichen

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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie „Was ist ein Dandy?“ fragt Melanie Grundmann in ihrer Anthologie Der Dandy- Wie er wurde, was er war. Die Herausgeberin konstatiert, er sei „schwer zu greifen“, der Dandy. Sie spricht von einer „etablierten Dandy-Forschung“, ohne sagen zu können, welchen Autoren, welche Bücher sie meint. Sie will ihn trotzdem irgendwie fassen. Aber er sei ja bloß „fleischgewordene Utopie“, der Dandy. Also nicht fassbar? Von Absatz zu Absatz der Einleitung wird man unruhiger. Melanie Grundmann wirft Fragen auf, bleibt aber regelmäßig Antworten schuldig. Um ihn zu fassen, den Dandy, muss sie auf berühmte Bücher zurückgreifen. Meint sie diese vielleicht mit „Forschung“? Sie zitiert ausgiebig die wunderbare und gerade neu übersetzte Studie des genialisch-verrückten Barbey d’Aurevilly, - aber bleibt hinter dessen Erkenntnis zurück. Ähnlich verhält es sich auch mit den von ihr ausgewählten Stücken aus der Literaturgeschichte, die ihn uns näherbringen sollen, den Dandy. Sie sind amüsant, interessant und machen tatsächlich ein wenig klarer, wie er sich kultur-soziologisch entwickelte. Was nun aber die Essenz des Dandys ist, erfahren wir nicht. Essentiell ist das System der Machtentfaltung für den Dandy, welches Otto Mann in einer philosophischen Doktorarbeit bei Karl Jaspers 1925 am Ur-Dandy George Bryan Brummell herausgearbeitet hat. Es beruhte auf den Faktoren Überlegenheit, Verhüllung und Verblüffung. Brummells geistige Überlegenheit ist die erste Voraussetzung seiner Machtentfaltung. Der Dandy beobachtet und analysiert die Welt - und dann sich. Er kommt zu dem Schluss, so wie die anderen nicht leben, nicht sein zu wollen. Er ist ein äußerst genauer, sublimer und reflektierender Beobachter der Außenwelt. Die Dandyattitüde ist das Ergebnis seines Nachdenkens über die eigene Lage, über seine Position auf letztlich verlorenem Posten. Der Dandy mit seiner asketischen Selbstregulierung ist verglichen worden mit dem Mönch in seiner Zelle. Die kompromisslose Perfektion im Äußeren ist nur eine Facette der brummellschen Überlegenheit. Der Dandy wird deshalb von den anderen bewundert, weil er die Souveränität seiner Überlegenheit spürt – und zelebriert. Der Dandy wird heute häufig mit dem Snob verwechselt, weil in der Regency-Periode die Bedeutung der Mode auf einem kaum je wieder erreichten Höhepunkt war. „(G)utes Aussehen und äußerliche Eleganz“ sind „dem vollkommenen Dandy lediglich ein symbolischer Ausdruck für die aristokratische Überlegenheit seines Geistes“, schrieb Charles Baudelaire. Die Überlegenheit des Dandys zeigt sich im Gespräch. Brummells Biographen betonen einhellig, dass es nicht seine Kleidung gewesen sei, die ihn zum first gentleman of europe habe avancieren lassen. Seine herausragende Konversationskunst war es, nie monologisch, stets bezog er die anderen mit ein, denen er sowohl rhetorisch wie auch durch seine profunde Allgemeinbildung überlegen war. Brummells Art der Unterhaltung war wie sein Humor: Immer leicht ironisch und damit grundsätzlich unberechenbar. Sein Witz war trocken, selbstironisch und dadurch stets unterhaltsam und andererseits unangreifbar. In ihrer Gesprächskunst ähneln sich die großen historischen Vertreter dieses Typus auffällig. Lesen wir über Brummell, sind wir sogleich an Oscar Wilde erinnert, der seine Vorträge immer im Gespräch begann, mit vielerlei theatralischen Gesten, seine Zigarette schwenkend und letztlich bedeutungsvoll in das Kaminfeuer werfend. Wir erinnern uns an die Reden Gabriele d’Annunzios in Fiume, an die Pariser Jahre Ernst Jüngers. Heute erinnert uns Karl Lagerfeld an diese großartigen Blitzlichter der europäischen Kulturgeschichte, wenn er zu Sandra Maischberger sagt: „Ich bin ein ganz anderer.“ Verblüffung setzt ein Publikum voraus, ein Gegenüber. Der Dandy „sammelt sich selbst“, wie Albert Camus es beschrieben hat und schmiedet seine eigene Einheit dadurch, dass er sich mit den anderen nicht gemein macht. Er steht wesensmäßig zwangsläufig in der Opposition; „der Dandy kann sich nur aufstellen, indem er sich entgegenstellt. Er kann sich seiner Existenz nur versichern, wenn er sie im Gesicht der anderen wiederfindet.“ Das Gegenüber, der andere, der provoziert, umschmeichelt, verletzt oder schockiert wird, ist zwangsläufiger Bestandteil der Dandyattitüde. „Die andern sind der Spiegel.“ Günter Erbe schreibt in seiner Einleitung zu dieser Anthologie: „Der Geist des Dandys lotet nicht tief.“ Ein schwerer Irrtum.

„Was ist ein Dandy?“ fragt Melanie Grundmann in ihrer Anthologie Der Dandy- Wie er wurde, was er war. Die Herausgeberin konstatiert, er sei „schwer zu greifen“, der Dandy. Sie spricht von einer „etablierten Dandy-Forschung“, ohne sagen zu können, welchen Autoren, welche Bücher sie meint. Sie will ihn trotzdem irgendwie fassen. Aber er sei ja bloß „fleischgewordene Utopie“, der Dandy. Also nicht fassbar? Von Absatz zu Absatz der Einleitung wird man unruhiger. Melanie Grundmann wirft Fragen auf, bleibt aber regelmäßig Antworten schuldig. Um ihn zu fassen, den Dandy, muss sie auf berühmte Bücher zurückgreifen. Meint sie diese vielleicht mit „Forschung“? Sie zitiert ausgiebig die wunderbare und gerade neu übersetzte Studie des genialisch-verrückten Barbey d’Aurevilly, - aber bleibt hinter dessen Erkenntnis zurück.

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Ähnlich verhält es sich auch mit den von ihr ausgewählten Stücken aus der Literaturgeschichte, die ihn uns näherbringen sollen, den Dandy. Sie sind amüsant, interessant und machen tatsächlich ein wenig klarer, wie er sich kultur-soziologisch entwickelte. Was nun aber die Essenz des Dandys ist, erfahren wir nicht.

Essentiell ist das System der Machtentfaltung für den Dandy, welches Otto Mann in einer philosophischen Doktorarbeit bei Karl Jaspers 1925 am Ur-Dandy George Bryan Brummell herausgearbeitet hat. Es beruhte auf den Faktoren Überlegenheit, Verhüllung und Verblüffung. Brummells geistige Überlegenheit ist die erste Voraussetzung seiner Machtentfaltung. Der Dandy beobachtet und analysiert die Welt - und dann sich. Er kommt zu dem Schluss, so wie die anderen nicht leben, nicht sein zu wollen. Er ist ein äußerst genauer, sublimer und reflektierender Beobachter der Außenwelt. Die Dandyattitüde ist das Ergebnis seines Nachdenkens über die eigene Lage, über seine Position auf letztlich verlorenem Posten.

Der Dandy mit seiner asketischen Selbstregulierung ist verglichen worden mit dem Mönch in seiner Zelle. Die kompromisslose Perfektion im Äußeren ist nur eine Facette der brummellschen Überlegenheit.

Der Dandy wird deshalb von den anderen bewundert, weil er die Souveränität seiner Überlegenheit spürt – und zelebriert. Der Dandy wird heute häufig mit dem Snob verwechselt, weil in der Regency-Periode die Bedeutung der Mode auf einem kaum je wieder erreichten Höhepunkt war. „(G)utes Aussehen und äußerliche Eleganz“ sind „dem vollkommenen Dandy lediglich ein symbolischer Ausdruck für die aristokratische Überlegenheit seines Geistes“, schrieb Charles Baudelaire. Die Überlegenheit des Dandys zeigt sich im Gespräch. Brummells Biographen betonen einhellig, dass es nicht seine Kleidung gewesen sei, die ihn zum first gentleman of europe habe avancieren lassen. Seine herausragende Konversationskunst war es, nie monologisch, stets bezog er die anderen mit ein, denen er sowohl rhetorisch wie auch durch seine profunde Allgemeinbildung überlegen war. Brummells Art der Unterhaltung war wie sein Humor: Immer leicht ironisch und damit grundsätzlich unberechenbar. Sein Witz war trocken, selbstironisch und dadurch stets unterhaltsam und andererseits unangreifbar.

In ihrer Gesprächskunst ähneln sich die großen historischen Vertreter dieses Typus auffällig. Lesen wir über Brummell, sind wir sogleich an Oscar Wilde erinnert, der seine Vorträge immer im Gespräch begann, mit vielerlei theatralischen Gesten, seine Zigarette schwenkend und letztlich bedeutungsvoll in das Kaminfeuer werfend. Wir erinnern uns an die Reden Gabriele d’Annunzios in Fiume, an die Pariser Jahre Ernst Jüngers. Heute erinnert uns Karl Lagerfeld an diese großartigen Blitzlichter der europäischen Kulturgeschichte, wenn er zu Sandra Maischberger sagt: „Ich bin ein ganz anderer.“

Verblüffung setzt ein Publikum voraus, ein Gegenüber. Der Dandy „sammelt sich selbst“, wie Albert Camus es beschrieben hat und schmiedet seine eigene Einheit dadurch, dass er sich mit den anderen nicht gemein macht. Er steht wesensmäßig zwangsläufig in der Opposition; „der Dandy kann sich nur aufstellen, indem er sich entgegenstellt. Er kann sich seiner Existenz nur versichern, wenn er sie im Gesicht der anderen wiederfindet.“ Das Gegenüber, der andere, der provoziert, umschmeichelt, verletzt oder schockiert wird, ist zwangsläufiger Bestandteil der Dandyattitüde. „Die andern sind der Spiegel.“

Günter Erbe schreibt in seiner Einleitung zu dieser Anthologie: „Der Geist des Dandys lotet nicht tief.“ Ein schwerer Irrtum.

geschrieben am 13.02.2009 | 627 Wörter | 3914 Zeichen

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